Stadtmutanten (German Edition)
Mehmet selbst bewegte sich federleicht durch den kleinen Flur und geleitete uns ins Wohnzimmer, wo er uns einen Platz auf dem Sofa anbot. Dann setzte er sich gegenüber auf den Sessel, schlug die Beine übereinander und schaute uns schmunzelnd an. Der Mann war so offensichtlich schwul, dass ich mir nicht sicher war, ob er das ganze nur spielte. Ich hatte einige Homosexuelle in meinem Leben kennen gelernt und mit einem während meiner Ausbildung mehrere Jahre zusammen gewohnt. Die meisten unterschieden sich von heterosexuellen Männern in dem ein oder anderen Detail ihres Auftretens. Aber dieser Mann war so schwul, dass er wie eine Karikatur wirkte. Und überhaupt war er der erste schwule Türke, den ich je gesehen hatte. Er schaute von dem Einen zum Anderen, dann hob er fragend die Arme.
»Na schön, was ist der Grund dieses Besuches? Nimm es mir nicht übel, Nachbar, aber du schleppst sonst nie Fremde hier an. Auch wenn dieser hier gut in Schuss ist.«
Das war ich tatsächlich, dessen war ich mir bewusst. Mehmet sah mich prüfend an, aber seine Äußerung irritierte mich nicht im Geringsten. Es ist ein Kompliment für einen über 30jährigen, von einem Homosexuellen für »gut in Schuss« gehalten zu werden. Enrico übernahm die Initiative für mich.
»Du hast uns durchschaut, Mehmet. Also, im Kern geht es darum. Marek hier kannte jemanden, der vielleicht irgendetwas über die ganze Sache da draußen wusste. Wenigstens hatte er eine Ahnung. Und es scheint, als ob jemand, mit dem er vielleicht Kontakt deswegen hatte, in unserem Haus wohnt.«
»Und ihr meint, ich weiß wer dieser jemand ist, weil ich so ein bunter Hund bin?«
Enrico zuckte mit den Achseln.
»Ja. Genau das dachte ich.«
Mehmet musterte mich erneut.
»Mhm, Marek. Klingt osteuropäisch. Bist du Tscheche?«
»Nein, Ostfriese. Aber einer meiner Großväter war aus Tschechien.«
»Ich verstehe. Trotzdem, ich muss sagen, dein Name gefällt mir.«
Ich bedankte mich höflich und merkte verzweifelt, wie ich ein wenig verlegen wurde. Zum Glück ließ Mehmet weitere Komplimente und Flirtattacken sein und wurde geschäftsmäßig - für seine Verhältnisse zumindest.
»Wie heißt denn dieser Kumpel von dir, Marek?«
»Leon.«
Mehmet hob eine Augenbraue.
»Und wieso kommt dein Freund Leon nicht selbst hierher?«
»Er ist tot. Und er war nicht mein Freund.«
»Und woher weißt du dann so viel über ihn?«
»Ich kenne seine Mitbewohnerin. Sie hat mir erzählt, dass er kurz vor seinem Tod von irgendwelchen Geheimnissen erzählt hat, die die Polizei und das Militär nicht erfahren dürfen. Tja, und kurz danach begann die ganze Scheiße hier. Die Adresse von hier habe ich aus seinem Notizbuch.«
»Warum hast du sein Notizbuch?«
»Ich habe es nach seinem Tod mitgenommen.«
Wieder hob Mehmet affektiert eine Augenbraue. Langsam ging er mir damit auf den Nerv.
»Gestohlen, wenn du so willst«, ergänzte ich.
Mehmet lächelte belustigt, öffnete den Mund, hielt die Hand davor und kicherte gekünstelt. Langsam schwante mir, dass dieses ganze affektierte Schwulengehabe absichtlich übertrieben war. Eine Art Pokerface. Und das gefiel mir gar nicht. Was für ein Spiel trieb dieser Junge?
»Was ist, Mehmet? Ist irgendetwas komisch?«
Das Kichern erstarb. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass ich eine gewisse Genugtuung über meine genervte Reaktion in Mehmets Augen lesen konnte.
»Nein, entschuldige bitte. Ein Tod ist natürlich nie lustig. Aber sag, war dein Leon schwul?«
»Ja. Wieso?«
»Weil ich in dem Fall den Mieter kenne, den ihr sucht.«
»Kannst du mich hinführen?«
»Nicht nötig. Ich bin es.«
»Du?«, fragte Enrico ehrlich erstaunt.
»Ja, mein lieber Enrico. Leon war einmal hier. Ich hatte ihn auf so einer Party kennen gelernt. Und da habe ich ein oder zwei Leute erwähnt - so im Nebensatz, ihr versteht. Naja, jedenfalls wurde der liebe Leon sofort hellhörig und hat mir Löcher in den Bauch gefragt. Ihr glaubt nicht, wie viele Löcher in diesen flachen Bauch reingefragt wurden. Aber ich konnte keine davon beantworten. Außerdem hatte ich etwas Anderes vor auf der Party, ihr versteht?«
»Und dann hast du ihm deine Adresse gegeben, um ihn loszuwerden?«, mutmaßte ich.
»Kluges Kerlchen. Tja, und dann tauchte er hier auf. Knackiger Junge, aber nicht mein Typ, ihr versteht.«
»Und dann?«
»Ach, ich habe ihm nicht viel sagen können. Ich habe den Kontakt zu den Leuten hergestellt und einen Termin ausgemacht. Wisst Ihr, der Gute war
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