Stadtmutanten (German Edition)
mir befolgt hatte. Ich war erleichtert. Es hätte mir das Herz gebrochen, wenn diese beiden Menschen, die sich so geliebt hatten, sich gegenseitig umbringen oder Schlimmeres miteinander anstellen würden. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, zu klingeln und nach dem Rechten zu schauen. Ich stand schon vor der Haustür und streckte den Finger nach seiner Türklingel aus, machte aber dann kehrt. Peters Reaktion war eindeutig gewesen. Ich konnte es nicht ungeschehen machen. Wenn sich unser Verhältnis bessern sollte, war er am Zuge.
Der Rundgang verlief relativ ereignislos, was aber auch zum Teil daran lag, dass ich mich den letzten Sonnenstrahlen ausweichend im Schatten verborgen hielt und offene Plätze weitgehend mied. Es war definitiv mehr Leben - wenn man es denn so nennen mochte - auf den Straßen. Die Straßen waren nicht gerade voll mit Totenmännern, aber die Frequenz hatte sich deutlich erhöht. Von Gebüsch zu Gebüsch eilend schloss ich meinen kleinen Kontrollgang mit einem Abstecher durch den Waller Park. Der Park war zunächst relativ ruhig, wurde aber zusehends bevölkerter. Als der Ententeich kurz vor dem Spielplatz in Sicht war, sah ich eine ganze Horde Beißer am anderen Ufer und kehrte um. Besser nicht auf sich aufmerksam machen. Die Sache wurde langsam mulmig. Wenn die Totenmänner herausfanden, wo wir waren, würden sie uns nicht mehr in Ruhe lassen, zumal die Musik aus der Hiobswohnung nicht gerade dabei half, unseren Aufenthalt zu verschleiern. Ich nahm den Heimweg durch den Park, mich immer dicht am Zaun haltend. Auf Höhe unseres Hauses schaute ich mich kurz nach allen Seiten um, dann erklomm ich den zwei Meter hohen Metallzaun, der das Grundstück vom Park trennte und schlich zum Hintereingang des Hauses, der von der Straße nicht einsehbar war. Ich ging die Treppe zum Kellereingang hinunter und schlüpfte ins Haus. Ich dachte an Ben und wie es ihm ging. Verdammt, ich brauchte ihn hier. Ohne ihn war der Status Quo gestört. Ohne ihn fühlte ich mich schwach.
17 TUNNELBLICK
In dieser Nacht wurde ich wach und zerbrach mir den Kopf über mein Leben, meine Zukunft, meine Situation. Als klar war, dass an Schlaf nicht zu denken war, zog ich mich an und setzte mich mit einem Bier auf den Balkon. Bisher hatte ich als Nahziel gehabt, zu überleben und kein Totenmann zu werden. Dieses Ziel war nun erreicht. Ben und ich waren gemeinsam durch die Hölle gegangen und hatten alle Gefahren gemeistert. Wir hatten überlebt. Nun saß ich hier in meiner Wohnung: ohne Frau und Kind, dafür aber mit einer Menge Kokain, das die Verwandlung in mein schlimmeres Selbst für hoffentlich sehr lange Zeit verhindern würde. Und mit einer jungen Frau, die nur allzu gern an Katies Stelle treten würde. Ohne Infektion und ohne Lila wäre die Situation überschaubar: Ich müsste einfach aushalten, bis die Krise vorbei wäre und könnte Frau und Kind mit offenen Armen empfangen. Aber die Infektion machte mir zu schaffen, besonders nach dem letzten Ansteigen der Mutationsgeschwindigkeit. Was passierte, wenn die Sache nicht heilbar war? Konnte ich je wieder meinem Sohn der Vater sein, meiner Frau der Ehemann? Und was geschah, wenn ich abhängig von der Droge wurde? Wäre ich dann noch der Mann, den Katie und Kai zurücklassen mussten? Ich glaubte nicht daran. Und Lila würde sich nicht ohne Protest an die Leine legen lassen. Ich musste etwas tun. Aktiv werden. Meine Situation verbessern. Warten und Kokain schniefen war keine Lösung. Ich brauchte etwas Besseres, eine echte Perspektive. In dem Moment fiel mir Leon ein, dessen Notizbuch noch immer in meiner Jacke an der Garderobe steckte. Er schien irgendwie darin verwickelt gewesen zu sein. Ich erinnerte mich an Lilas Erzählung, er habe vor seinem Tod geheimnisvoll getan. Niemand wusste, wie tief er drin gesteckt hatte, aber er schien bereits vor der Evakuierung Wind davon bekommen zu haben. Wenn ich nur sehen könnte, was er gesehen hatte. Plötzlich Morgenluft witternd eilte ich zur Garderobe, holte das Büchlein und ging zurück auf den Balkon. Ich steckte mir eine Zigarette an, nahm einen großen Schluck Bier, machte mir gleich ein Neues auf und schlug mit klopfendem Herzen das Büchlein auf. Ernüchtert stellte ich fest, dass die meisten Einträge mir gar nichts sagten: Namen, Telefonnummern. Na super. Zwei Einträge erweckten schließlich doch noch mein Interesse. Es waren die beiden letzten. Der letzte Eintrag lautete einfach »der große
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