Stadtmutanten (German Edition)
Hinterhof des Nachbarhauses, wo ich hoffte, einen Blick in die Wohnung der Hiobs werfen zu können. Zu sehen gab es nichts, aber ich konnte leise klassische Musik hinter den Fenstern hören. Gut so, vorübergehend würde hier alles in Ordnung sein.
Den Rest des Tages und den größten Teil des darauf folgenden Tages verbrachten wir alle jeweils als Pärchen. Eric und Marty spielten komplexe Rollenspiele auf dem PC und kifften sich dabei die Birne weg, Enrico gewöhnte Marlene an sein neues Reich, nämlich das Wohnzimmer von Martys Eltern. Er hatte sich geweigert, in deren Schlafzimmer und damit deren Privatsphäre einzudringen. Daneben arbeitete er wie ein Wilder an neuen Songs. Lila und ich verbrachten unsere Zeit hauptsächlich mit Sex und Schlaf. Sie war besonders erfinderisch in der Einbeziehung von kleinen Mengen Kokains in unsere Spielchen. Sie bezeichnete es als »unsere Art« Sex zu haben. Mir persönlich wurde die Sache zusehends unangenehm.
Man sagt, die Verliebtheitsphase am Anfang einer Beziehung dauert etwa drei Monate. Es ist die Phase, in der man den neuen Partner idealisiert und durch die rosa Sonnenbrille sieht. Nach drei Monaten beginnt man meistens, die Fehler des Partners zu erkennen und es folgt Ernüchterung. Spätestens nach drei Jahren ist in einer Beziehung von dem ursprünglichen Gefühl der Verliebtheit nicht mehr viel übrig. In intakten Beziehungen tritt an die Stelle der Verliebtheit dann ein Gefühl der Sicherheit, der Vertrautheit, der Zusammengehörigkeit, des Verständnisses. Dieses Gefühl ist weniger sexy und führt anfangs oft zu Krisen und in vielen Fällen zum Ende der Beziehung. Katie und ich hatten all diese Phasen durchgemacht und waren trotz aller Probleme zusammen geblieben und führten nun eine glückliche Beziehung, in der uns sogar manchmal für kurze Momente das Verliebtheitsgefühl einen Kurzbesuch abstattete, sozusagen als Belohnung für jahrelanges Durchhalten. Was meine Beziehung zu Lila anging, so hatte ich die Verliebtheitsphase komplett übersprungen. Da war nichts. Gut, ich fühlte mich geschmeichelt und es tat gut, wieder Sex zu haben. Aber mir war bewusst, dass die Gefühle bei uns einseitig verteilt waren. Mit anderen Worten: Ich nutzte sie aus. Und allmählich ging sie mir auf den Zeiger. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Zigarettenpausen und Toilettengänge bewusst ausdehnte, um endlich einmal allein zu sein. Mehrmals stellte ich mich schlafend, um nicht mit ihr sprechen oder mit ihr schlafen zu müssen. Sie wurde immer dominanter, führte sich auf wie meine jahrelange Partnerin. Am meisten hasste ich es, als einmal einer der anderen mich etwas fragte und sie für mich antwortete. Es war eine Sache, dass ich es bei Katie duldete, die sich über Jahre meine Liebe und meinen Respekt verdient hatte. Im Gegenzug ertrug sie dafür einige meiner nervigeren Eigenarten. Bei Lila lag der Fall ganz anders. Sie hatte kein Recht dazu und das nervte mich. Am Abend des zweiten Tages hatte ich schließlich die Faxen dicke. Als Lila einen romantischen Abend vorschlug, lehnte ich ab.
»Ich muss mal wieder raus hier. Wir sind schon seit Tagen in diesem Haus. Lass uns die anderen einpacken und ins Karo gehen.«
Nachdem Enrico sich vergewissert hatte, dass er Marlene für ein paar Stunden allein in der neuen Umgebung lassen konnte, stiegen wir alle in mein Auto und fuhren zum Karo. Als wir das Karo betraten, verstummten zunächst alle Gespräche. Als Gabi und die anderen uns erkannten, war die Wiedersehensfreude groß. Die kleine Kneipenkommune hatte darüber hinaus Zuwachs bekommen: Ein Mann Mitte 40, der uns als Tobias vorgestellt wurde und eine Frau namens Christina, die besoffen in der Ecke schlief. Gabi erzählte Tobias stolz, dass ich derjenige war, der Mütze vertrieben und Florian zum Trinken gebracht hatte. Ich schaute mich um, konnte Florian jedoch nirgendwo ausmachen.
»Wo ist Flori?«, wollte ich wissen.
»Hat sich aus dem Staub gemacht«, sagte Gabi mit einem kleinen Ausdruck des Bedauerns. Inzwischen schien Florian ihr an Herz gewachsen zu sein.
»Aber wie?«, fragte Lila, »er war doch gefesselt.«
»Schon, aber vor zwei Nächten hat er sich irgendwie von den Fesseln befreit und ist rausmarschiert.«
»Und wo wart ihr?«, fragte Marty.
»Hier. Auf dem Boden. Haben geschlafen.«
»Florian, ein vollkommen ausgehungerter Totenmann, befreit sich und marschiert an tonnenweise Frischfleisch vorbei ins Freie, anstatt sich hier einen Imbiss zu
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