Stadtmutanten (German Edition)
war? Diese Persönlichkeitsveränderung war unvorhergesehen. Ich musste lernen, meine Aggressionen im Zaum zu halten.
Aber zunächst galt es, Enrico zu retten. Mein Hemd war besudelt, also zog ich es aus. Das T-Shirt darunter war OK, so wie der Rest meiner Klamotten. Ich schleppte Mehmets Leiche auf die Liege. Sollten der Muskelmann und seine Freunde ihren Spaß damit haben. Als ich seine Taschen durchsuchte, fand ich seinen Haustürschlüssel und - wie es sich für einen eitlen Gockel wie Mehmet gehörte - natürlich einen Kamm und einen kleinen Spiegel. Ich nahm den Spiegel in die Hand und beobachtete aufmerksam mein Gesicht und die Partie darum herum, wischte hier und da Blut ab. Dann ging ich zurück zum Almatahaus. Am Wachmann vorbei zu kommen, war kein Problem. Er sah mich schon von weitem und hielt mir die Tür auf, den ein oder anderen Kommentar über meinen Zustand von letzter Nacht fallen lassend. Ich sagte, ich wolle zu Enrico und war schon im Aufzug, bevor der gute Mann Zeit hatte sich zu fragen, warum ich bei geschätzten drei Grad Celsius im T-Shirt draußen herumlief. Im 7. Stock angekommen, checkte ich zunächst Enricos Tür und fand sie verschlossen vor. Ich probierte einen der vielen Schlüssel an Mehmets Schlüsselbund und fand einen, der passte. Schön, dass der menschenverachtende Mehmet wenigstens eine Schwäche für Katzen gehabt hatte. Enrico lag komatös auf dem Boden seines Wohnzimmers. Er sah schlimm aus. In geschätzten ein bis zwei Stunden würde sein Herz aufhören zu schlagen und einen weiteren Moment später wäre ein neuer Totenmann geboren. Ein sehr kreativer noch dazu. Ich fragte mich kurz, ob ich zwischendurch auch gestorben war, oder ob der Übergang so lange Zeit nach der Infektion auch ohne Sterben vonstatten ging. Ich kam zu keinem Ergebnis, hatte aber auch wichtigere Dinge zu tun. Ich musste nach einem Weg suchen, Enrico das Kokain zu verabreichen. Schließlich tat ich etwas von dem Pulver auf einen Teelöffel, den ich unter sein linkes Nasenloch hielt. Dann drückte ich sein rechtes Nasenloch zu. Zunächst geschah nichts. Doch dann schnaufte Enrico kräftig durch das linke Nasenloch Luft ein und damit auch das rettende weiße Pulver. Ich trat zurück und wartete, bis die Krämpfe bei Enrico nachließen. Während er zu sich kam, ging ich in die Küche und machte Kaffee für uns beide. Als ich zurückkam, saß Enrico auf dem Sofa und kraulte Marlene. Den Mann konnte wirklich nichts für lange erschüttern. Ich hatte noch nie einen Menschen kennen gelernt, der in dieser Art und Weise einer Katastrophe beiwohnen und im nächsten Moment wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Enrico konnte das. Als ich ihm einen Kaffee hinstellte, bedankte er sich und bot mir dafür eine Zigarette an, die ich ebenfalls dankend annahm. Dann erzählte ich von meiner Nacht im Tunnel und plauderte alles aus, was ich von Mehmet wusste. Enrico hörte mir zu Ende zu und schüttelte dann mit dem Kopf.
»Ob Mehmet wusste, dass er vielleicht für diese ganze Sache hier verantwortlich ist?«
»Ich denke, es war ihm scheißegal.«
»Und er ist wirklich tot?«
»Ja.«
»Und du hast ihn angekaut?«
»Ja. Bin nicht stolz drauf.«
»Ich muss mir jetzt regelmäßig die Nase pudern?«
»Ja.«
»Und du gibst mir das Zeug.«
»Ja.«
»Ist bei euch im Haus noch Platz für einen Typen mit seiner Katze?«
»Du willst zu uns ziehen?«
»Die Straßen hier werden langsam unsicher. Überall wimmelt es von diesen Dingern. Und jetzt wo Mehmet tot ist, hab ich hier niemanden mehr außer Marlene, und die nehme ich ja mit.«
»Bist du sauer, weil ich ihn umgebracht habe?«
Enrico überlegte kurz. Das mochte ich an ihm. Er hätte das weit von sich weisen können, aber er wollte, dass seine Antwort der Wahrheit entsprach.
»Er hat mich belogen und benutzt. Und er wollte mich fertig machen. Er war nicht mein Freund. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt zu Freundschaft fähig war. So völlig ohne Gewissen. Ein Psychopath.«
»Hast du ein Auto?«
»Nein.«
»Ich hab eins. Pack ein paar Sachen und ich hol dich hier heut Nachmittag ab.«
Ich fühlte mich trotz der anstrengenden Nacht topfit und meisterte den Heimweg ohne große Anstrengungen. Ein paar Totenmännern ausweichen, kein Problem. Und so viele waren an diesem Morgen auch nicht unterwegs. Zuhause ging ich direkt in meine Wohnung, zog die schmierigen Klamotten aus und duschte ausgiebig. Dann ging ich in die Küche und frühstückte herzhaft. Als ich
Weitere Kostenlose Bücher