Stadtmutanten (German Edition)
Treffen sagte, Sie sollten mich aufsuchen, hatte ich nicht ernsthaft damit gerechnet, dass Sie es wirklich schaffen würden.«
»Warum haben Sie es dann gesagt?«
»Was würden Sie einem Menschen sagen, der keine Hoffnung mehr hat? Wie verabschiedet man einen solchen Menschen? Schönen Tag noch, ab morgen werden Sie ein Monster sein? Oder tot?«
Ich nickte, erwiderte aber nichts. Ich konnte ihn verstehen, aber ich war enttäuscht. Ich hatte die Illusion gehabt, dass seine Worte mehr bedeutet hatten. Ich hatte mich getäuscht. Mein ganzer Plan kam mir plötzlich albern vor. Der Lack meiner Errettungsillusion begann zu blättern.
»Und wie geht es Ihrem Freund? Ben hieß er, nicht wahr?«
Ich nickte erneut. »Ich habe ihn und seine Freundin erst heute besucht. Es geht ihm gut.«
»Das freut mich. Freut mich wirklich. Aber nun zum Grund Ihres Besuches. Was kann ich für Sie tun?«
Der Lack meiner Illusion blätterte immer weiter.
»Ich dachte, das wäre klar.«
»Ich verstehe nicht, Herr Winter.«
Der Lack war nun komplett ab. Mein Supermann in Weiß war ein begriffsstutziger Idiot. Ich rang um Fassung. Ich spürte die Wut in mir aufsteigen. Mit Mühe zwang ich mich zu einem gemäßigten Tonfall.
»Was ist daran zu schwer zu verstehen, Herr Doktor Bayer? Sehen Sie mich an: Ich bin seit Wochen infiziert! Und? Laufe ich taumelnd durch die Straßen und beiße Leute? Nein, ich bin noch normal. Ich bin hierher gekommen, weil ich dachte, das würde Sie interessieren!«
Er schwieg und ich war inzwischen richtig wütend. Ich wurde lauter.
»Was ist mit Ihnen los? Hier sitzt jemand vor Ihnen, der eigentlich schon seit Ewigkeiten mutiert sein müsste und das regt gar nicht Ihre Fantasie an?«
»Inwieweit soll es denn meine Fantasie anregen?«
»Nun«, ich schluckte, »wie wäre es, nach der Ursache zu suchen und diese Erkenntnisse für die Entwicklung eines Heilmittels zu nutzen?«
Doktor Bayer schaute mich lange an, dann nickte er.
»Ich werde eine Blutprobe von Ihnen nehmen müssen.«
Aufatmen, ein Teil des Lacks klebte sich wieder an. Ich machte einen Arm frei und sah zu, wie Doktor Bayer die Probe entnahm. Als wir fertig waren, bat er mich, ihm gegenüber am Tisch Platz zu nehmen.
»So, nun werden wir mal testen, wie Ihr Blut auf den Erreger reagiert.«
Er griff hinter sich in den Schrank und präsentierte ein Köfferchen mit Röhrchen, wie ich sie bei Mehmet schon gesehen hatte. Vater Staat hatte ihn also bestens ausgestattet. Da er meine Probe des Erregers nun nicht mehr brauchte, beschloss ich, die Existenz des Röhrchens in meiner Innentasche zu verheimlichen. Besser keine schlafenden Hunde wecken. Doktor Bayer kippte vorsichtig etwas von dem Zeug in ein Schälchen. Dann tröpfelte er einen Tropfen einer anderen Flüssigkeit hinein, die sich auf der Stelle blau verfärbte. Ich wusste aus dem Chemieunterricht, worum es sich hierbei handelte.
»Ein Indikator, richtig?«
»Korrekt. Je blauer sich die Lösung verfärbt, umso mehr Erreger sind drin. Und nun gebe ich etwas davon in Ihre Blutprobe.«
Bayer füllte etwas von meinem Lebenssaft in ein zweites Schälchen. Dann entnahm er eine kleine Menge des eingefärbten Erregers mit einer Pipette und ließ vorsichtig einen Tropfen in mein Blut fallen. An der Stelle entstand ein blauer Fleck. Einen kurzen Moment später geschah es:
»Ich werd verrückt!«
Verblüfft starrte er auf das Schälchen. Die blaue Färbung wurde heller. Bayer tröpfelte noch mehr von dem Erreger hinein, Tropfen für Tropfen. Jedes Mal mit dem gleichen Effekt. Schließlich drückte er den ganzen Inhalt der Pipette hinein. Das Schälchen war durchsetzt mit blauer Farbe. Doch auch diese Attacke meisterte mein Blut mit Leichtigkeit: Die Lösung wurde zusehends heller, bis die Farbe schließlich gänzlich verschwand und einem gesunden Blutrot wich.
»Unglaublich.«
»Was ist unglaublich?«
»Der normale Reaktionsverlauf zeigt eine zunehmende Blaufärbung der gesamten Blutprobe, die zeigt, dass der Erreger sich ausbreitet. Aber Ihr Blut scheint nicht nur resistent zu sein, nein. Es eliminiert sogar den Erreger! Und so schnell, so radikal. Sind schon einmal Besonderheiten an Ihrem Blut festgestellt worden? Wenn ja, sagen Sie es mir, das würde die Suche eingrenzen.«
»Also wollen Sie nach einem Heilmittel suchen?«
»Um Gottes Willen, ja! Wenn ich die Substanz kenne, die den Erreger unschädlich macht, dann eröffnet das ungekannte Möglichkeiten.«
»Mein Blut ist so normal, wie
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