Stählerne Jäger.
Notizen, die er sich bei den Gesprächen mit den Angehörigen des Überwachungsteams gemacht hatte. Was sie ausgesagt hatten, klang unglaublich… zu unglaublich, um es dem Chief zu erzählen: ein Mann, der kugelfest zu sein schien. Ein Kerl in einem Anzug, der geschmeidig wie Nylon war, aber sich augenblicklich in einen stahlharten Panzer verwandeln konnte. Ein Mann, der zehn Meter hoch und 100 Meter weit springen konnte. Vielleicht war er tatsächlich das Mitglied einer Bürgerwehr oder ein Milizionär – aber dann war er ein Milizionär eines ganz neuartigen Typs. Wenn dahinter nicht etwa ein Täuschungsmanöver seiner Leute steckte, die das Eingreifen einer Bürgerwehr oder Miliz decken wollten, war dies ein Wirklichkeit gewordener Science-Fiction-Film.
Und wenn das alles zutraf, konnte dieser Mann der ultimative Polizeibeamte sein, die ultimative Waffe in den Händen der Exekutive – oder der ultimative Alptraum aller Gesetzeshüter.
Swan Creek Road,
Granite Bay, Kalifornien
(Dienstag, 25. März 1998, 2.13 Uhr Ortszeit)
Weiber. Mit ihnen geht's nicht, ohne sie geht's nicht – erschießen kann man sie auch nicht.
Nach all dem Scheiß, der in den letzten Monaten passiert ist, dachte Tom Chandler, und wenn man gerade dabei ist, wieder ein bisschen Luft zu kriegen… verdammt, jetzt will Kay, dass ich mich zu ihr bekenne, will mit der ganzen Heimlichtuerei Schluss machen und will, dass ich mich von meiner Frau scheiden lasse.
Scheiße.
Er war zu seiner Freundin hinausgefahren, um all die Verrücktheit hinter sich zu lassen und sich zu entspannen. Ein schöner Empfang! Dabei verstanden sie sich eigentlich recht gut.
Warum wollte Kay jetzt alles verderben, indem sie verlangte, er müsse sich zu ihr bekennen? Natürlich hatte sie das nicht daran gehindert, sich gleich auf dem Teppich im Wohnzimmer zu lieben, aber Chandler war trotzdem froh, als er endlich abhauen konnte.
Es war eine lange dunkle Fahrt von Kays Haus über dem Folsom Lake zum Douglas Boulevard hinunter, auf dem er zur Interstate und dann nach Hause gelangen würde. Die diesjährige Schneeschmelze in den Sierra Nevada Mountains und fast sechs Wochen mit starken Regenfällen hatten den Folsom Lake, einen über 40 000 Hektar großen Stausee 25 Meilen östlich von Sacramento, fast bis zum Überlaufen gefüllt. Aus vier der acht großen Stahlwehre der Hochwasser-Entlastungsanlage wurde Wasser abgelassen, aber der Wasserspiegel stieg noch immer. Vor diesem Balanceakt standen die zuständigen Stellen jedes Jahr: Sie mussten so wenig Wasser ablassen, dass der Stausee im kommenden langen, trockenen Sommer voll genug war, um das Sacramento Valley mit seiner rasch wachsenden Bevölkerung zu versorgen, genug Wasser ablassen, damit der vierzig Jahre alte Staudamm nicht brach, und nicht so viel Wasser ablassen, dass der American River die Stadt Sacramento überflutete. Den zuständigen Bundes- und Staatsbehörden gelang es nicht immer, das ideale Gleichgewicht zwischen diesen Forderungen zu halten.
Für Chandler hatte der Folsom Lake schon immer eine spezielle Bedeutung gehabt. In seiner Jugend hatte er oft die Schule geschwänzt, war die über 20 Meilen zum See hinausgeradelt, um zu baden, und hatte versucht, sich nicht von der Schulaufsicht erwischen zu lassen. Am Folsom Lake hatte er seine Jungfräulichkeit verloren; am Folsom Lake hatte er seine beiden ersten Ehefrauen kennen gelernt. Der Stausee konnte wie heute einem tobenden Meer gleichen; in vier Monaten konnte er einem Wadi mit einem lächerlichen Rinnsal in der Mitte gleichen – wie in dem Jahr, in dem eines der Stauwehre nachgegeben hatte und der See zu drei Vierteln ausgelaufen war. Tom Chandler war das alles egal: Er fühlte sich stets zum Folsom Lake hingezogen.
Chandler befand sich auf einer schmalen, unbeleuchteten Straße ohne Bankett am Westufer des Stausees, als er nach einem lauten Knall sein Lenkrad stark nach rechts rucken fühlte und das widerliche Flopflopflop eines platten Reifens hörte.
Scheiße!. Er hatte schon ewig lange keinen Reifen mehr gewechselt, aber wenn er nach einem Abschleppwagen telefonierte, musste er mindestens eine halbe Stunde warten. Da er mit seinem Dienstwagen unterwegs war, würde die Stadt die Kosten übernehmen, aber er wollte nicht, dass bekannt wurde, dass er mit einem städtischen Fahrzeug zu seiner Freundin hinausgefahren war. Er fluchte weiter, während er am Straßenrand hielt, holte seine Stinger-Taschenlampe aus dem Handschuhfach und stieg aus,
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