Stählerne Schatten
Prozent zubilligen«, gab er zu. »Aber ich setze seine Chancen, die Ziele überhaupt zu erreichen, mit fünfundsiebzig Prozent an – und das ist schlecht, denn er hätte umkehren, die Maschine instandsetzen lassen und mit einem hundertprozentigen Bomber erneut starten sollen. Wie groß sind seine Chancen gewesen, Flugzeug und Besatzung mit allen Defekten, die er wissentlich ignoriert hat, heil heimzubringen? Höchstens zwanzig Prozent. Damit hat er mangelnde Urteilsfähigkeit bewiesen.«
»Was wäre, wenn der Angriff unbedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden müßte?«
»In einem solchen Fall müssen Reservemaschinen eingesetzt werden«, antwortete Jamieson. »Wenn man einen Bomber braucht, um das Ziel zu vernichten, schickt man drei los.
Einer kann nach der letzten Luftbetankung umkehren; den zweiten läßt man vor dem Eindringen in den feindlichen Luftraum zurückfliegen. Mit der technisch besten Maschine bombardiert man das Ziel und legt es in Trümmer.«
Samson nickte, weil das die richtige Antwort war. Er ärgerte sich wieder einmal darüber, daß seine Vorgesetzten ihn zwangen, die bewährten Einsatzprinzipien strategischer Luftmacht zu ignorieren. Aber der von oben in Gang gesetzte Prozeß ließ sich nicht mehr aufhalten; Samson konnte nichts anderes tun, als seine Befehle auszuführen. »Was wäre, wenn Sie nur einen Bomber zur Verfügung hätten?« fragte er Jamieson. »Was dann?«
»Sir, in diese Verlegenheit würde ich mich auf keinen Fall bringen lassen«, antwortete Jamieson nachdrücklich. »Lassen Sie sich nicht von den Erbsenzählern überreden, Ihre Optionen zu verringern, um Geld zu sparen oder die Risiken zu vermindern – diese Leute verstehen sich ohnehin nur darauf, ihr eigenes Risiko zu minimieren. Wenn nur diese eine Möglichkeit bleibt, sollten Sie empfehlen, den Einsatz zu verschieben, bis eine Alternative gefunden ist.« In diesem Augenblick kam der Zivilist mit seinen Luftraumkarten und Checklisten in den Simulatorkontrollraum. »Sie müssen draußen warten, Sir.« Aber der andere überhörte diese Aufforderung – und Jamieson fiel auf, daß sein Verhalten, sein ganzes Auftreten sich verändert hatte. Er wirkte nicht mehr wie ein unauffälliger, schüchterner kleiner Bürokrat.
»General?« fragte der Mann. »Wie steht’s?«
Jamieson merkte, daß er vor Zorn rot anlief. »Ich habe gesagt, Sie sollen draußen warten, Mister… «
Der Unbekannte ignorierte ihn. »Ich muß sofort wissen, wie ich dran bin, General.«
»Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe, Mister?«
»Tiger… «, warf Samson ein. Jamieson starrte den Dreisternegeneral erschrocken an: Der Unbekannte kommandierte ihn praktisch herum! »Ich… wir wollen Sie etwas fragen.«
»Was hat das alles zu bedeuten, Sir?« Jamieson wandte sich an den Zivilisten. »Was haben Sie hier zu suchen, Mister?«
»Dieser Gentleman kommt… für einige Zeit zum 509th Bomb Wing, Tiger«, begann Samson. »Wir benutzen eine B-2A, beladen sie mit modernsten Präzisionswaffen, und fliegen damit Bombenangriffe im Ausland – aber nicht als Einsätze der Air Force. Dazu brauchen wir einen B-2A-Kommandanten, im Idealfall den allerbesten, und General Wright hat Sie benannt, womit er bestimmt recht hat.«
»Wer zum Teufel ist dieser Mann, General?» fragte Jamieson.
»In wessen Auftrag ist er hier?«
»Sie dürfen ihm nichts erzählen«, sagte der Unbekannte zu Samson.
«Ich habe Ihnen bereits erklärt, daß ich keinen meiner Leute für Ihr Projekt abstelle, wenn die Beteiligten nicht vollständig informiert werden«, antwortete der General. »Jamieson hat ein Recht darauf, alles zu erfahren. Wenn er nicht umfassend informiert wird, ist unsere Vereinbarung geplatzt.«
Der Zivilist erwiderte Samsons Blick, musterte Jamiesons wütenden, verwirrten Gesichtsausdruck und nickte dann.
»Also gut, Sir«, sagte der ehemalige Oberstleutnant Patrick S. McLanahan. »Aber nur im ›Tresor‹.«
Das Gebäude der 509th Operational Support Squadron war ein zweistöckiger elektronisch gesicherter Tresor mit fast zweitausend Quadratmetern Geschoßfläche, der Tag und Nacht von Menschen und einer verwirrenden Vielfalt elektronischer Augen und Sensoren bewacht wurde. Der Grund dafür: Die OSS erhielt in Echtzeit nachrichtendienstliche Informationen aus aller Welt und verarbeitete sie ständig, um die vorbereiteten Einsatzunterlagen für Stealthbomber B-2A und andere Langstreckenbomber zu aktualisieren, Erhielten Bomberbesatzungen den
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