Stählerne Schatten
versuchte den Eindruck zu erwecken, er wolle ihr Informationen entlocken, die er in einem vertraulichen Hintergrundgespräch bereits erhalten hatte. »Wir können nicht in Einzelheiten gehen, das wissen Sie. Ich will nur eines sagen… « Sie machte eine kurze Pause, in der die Kamera näher heranfuhr, als sei die Vizepräsidentin im Begriff, sehr vertrauliche Informationen preiszugeben.
»… ja, unsere Analytiker sind Tag und Nacht damit beschäftigt, die Weltlage auszuwerten und zu analysieren.
Aber darüber hinaus kann ich Ihnen auch verraten, Tim, daß eine Informationsquelle, aus der wir schöpfen, die Medien sind – nicht nur in den USA, sondern weltweit, und Geheimdienstkreise sind offen gesagt schlecht auf die Medien zu sprechen. Die Geheimdienstleute überprüfen jede Meldung, jeden sogenannten Beweis, reden mit sogenannten Experten und gehen jedem Hinweis nach – und sei es nur, um ihn zu den Akten legen zu können. Aus der Sicht eines Journalisten mag manches nur eine kluge Vermutung sein, aber oft steigert sie nur die allgemeine Verwirrung.«
»Aber was ist mit der aggressiven Hochrüstung der Iraner und ihrem offenkundigen Bestreben, zur Führungsmacht der islamischen Welt aufzusteigen?«
»Ich glaube nicht, daß das amerikanische Volk möchte, daß wir Spekulationen über etwas so Wichtiges und Weitreichendes anstellen, Tim«, sagte Vizepräsidentin Whiting. »Die Medien können es sich leisten, nach Belieben Vermutungen anzustellen, und wenn wir eine Meldung aus zuverlässiger, gewöhnlich gutunterrichteter Quelle erhalten, überprüfen wir sie natürlich. In diesem speziellen Fall haben die Medien in letzter Zeit wild spekuliert, deshalb sind sie keine besonders gute Quelle. Tatsache ist, daß der Iran sich nicht auf dem Kriegspfad befindet – durchaus nicht. Statt dessen haben die Iraner einen kühnen neuen Friedensplan vorgelegt, der die von ihrem Flugzeugträger im Persischen Golf ausgehende Gefahr restlos beseitigen würde. Aber außer dem Präsidenten scheint niemand diese Friedensinitiative ernst zu nehmen.«
»Das Weiße Haus will also nichts gegen den Iran unternehmen, Madam Vice President?« fragte Russert.
»Tim«, antwortete Whiting in irritiertem Tonfall, den sie fürs Fernsehpublikum leicht übertrieb, »das klingt ganz so, als wollen Sie vorschlagen, wir sollten amerikanische Truppen zwölftausend Meilen weit an den Persischen Golf schicken, um den Iran zu bedrohen, nur weil er sich dafür entschieden hat, ein Waffensystem wie die Trägerkampfgruppe Khomeini in Dienst zu stellen. Das klingt ganz so, als wollten Sie darauf drängen, daß wir irgendwas unternehmen, nur weil andere Leute etwas getan haben. Mit dieser Auffassung bin ich nicht einverstanden, Tim.
Ich glaube, daß das amerikanische Volk dort draußen will, daß wir handlungsbereit sind, falls Amerika, seine Verbündeten oder seine vitalen Interessen in Übersee bedroht sind. Ansonsten, so glaube ich, will Amerika, daß unsere Soldaten daheim bei ihren Familien bleiben. Wir wollen äußerst behutsam vorgehen und vertrauen darauf, daß Diplomatie und gesunder Menschenverstand zuletzt siegen werden.«
Kapitel Drei
AN BORD DES STEALTHBOMBERS AV 011
ÜBER DEM PERSISCHEN GOLF
23. APRIL 1997, 1.13 UHR ORTSZEIT
»Schalte auf COMBAT-Modus um«, kündigte McLanahan an.
»Geben Sie mir Ihre Bestätigung.«
Tony »Tiger« Jamieson betätigte den rot abgedeckten Schalter neben seinem linken Ellbogen, überprüfte seine übrigen Schalterstellungen und zog die Becken- und Schultergurte fester. »Bestätigungsschalter ein. Klar zum Angriff.«
McLanahan drückte auf einen in Kopfhöhe angebrachten kleinen Leuchtknopf COMBAT und bewirkte damit, daß die Waffensysteme scharfgestellt, die Warn- und Abwehrsysteme aktiviert und die Computer, Flugzeugsysteme und Avionik für den Einsatz vorbereitet wurden. Während der Computer den Status sämtlicher Subsysteme meldete, kontrollierten beide Männer die MDUs (Mission Display Units) und bereiteten sich darauf vor, in den feindlichen Luftraum einzudringen. Nach nur dreißig Sekunden stand fest, daß alle Systeme sich im COMBAT-Modus befanden. »Wir sind in COMBAT«, stellte McLanahan fest.
»Bestätigt«, antwortete Jamieson – und hatte damit erstmals seit drei Stunden wieder etwas getan.
Was Tony Jamieson am meisten haßte, war erzwungene Untätigkeit. Als Mission Commander des Stealthbombers B-2A Spirit wäre er beschäftigt gewesen – der MC hatte immer zu tun. Obwohl der Pilot
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