Staerker noch als Leidenschaft
sich in Positur, um Nicole deutlich mitzuteilen, dass er keineswegs vorhatte, eine Nacht ungenutzt verfallen zu lassen.
Die Frau, die vor ihm stand, als die Tür aufging, war nicht Nicole. Sie musste Mitte fünfzig sein, der Morgenmantel saß leicht schief, zeugte davon, dass er hastig übergeworfen worden war, das kurze braune Haar war wirr. Eindeutig, diese Frau war aus dem Schlaf geholt worden. Und langsam dämmerte ihm, dass es Nicoles Mutter sein musste.
Deren anfänglich besorgte Miene wurde allmählich ärgerlich, als er einfach nur dastand und sie stumm anstarrte. „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“
Er sah ihr geradewegs ins Gesicht. „Mein Name ist Joaquin Sola, und ich möchte mit Ihrer Tochter sprechen, Mrs. Ellis.“
„Sie!“ Schockiert rang sie nach Luft und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
Quin runzelte die Stirn. Sie hatten sich vorher nie getroffen, dennoch kannte Linda Ellis seinen Namen. Der ganz offensichtlich keine Freude in ihr auslöste. Was wiederum Anlass zu der Frage gab – was hatte Nicole ihrer Mutter von ihm erzählt? Stand dem Mann, der den finanziellen Ruin abgewendet hatte, nicht ein herzlicheres Willkommen zu?
„Ist Nicole zu Hause?“ Es wurde Zeit, ein paar Dinge zu klären.
Linda antwortete nicht. Brauchte sie auch nicht, denn hinter ihr erblickte Quin jetzt Nicole. Nicole, die ein kleines Mädchen auf dem Arm hielt, das sein Köpfchen vertrauensvoll an ihre Schulter gekuschelt hatte. Beide trugen ebenfalls hastig übergeworfene Morgenmäntel.
„Was ist denn los, Mum?“
Erst nachdem Nicole die Worte ausgesprochen hatte, sah sie Quin auf der Schwelle stehen. Wie vom Donner gerührt, hielt sie in ihrem Schritt inne. Das kleine Mädchen hob den Kopf, um den Grund für die plötzliche Stille herauszufinden. Die Kleine hatte kurzes schwarzes Haar, zu einem adretten Bob geschnitten, und erstaunlich helle Augen – graue Augen. Quin kam dieses Gesicht seltsam bekannt vor, aber …
„Kennst du den Mann, Mummy?“
Mummy! Quin richtete den Blick abrupt auf Nicole. Sie wirkte jetzt nicht mehr erschreckt, sondern höchst beunruhigt und unsicher. Er konnte sehen, wie sie trocken schluckte, nach Worten suchte, um etwas zu sagen, und sie nicht fand. Dann schob sie stolz ihr Kinn vor.
„Es ist nur jemand, der kurz vorbeischaut, Zoe.“ Mit dieser Bemerkung machte Nicole die Unbedeutsamkeit, die Quin für ihr Leben darstellte, nur umso klarer, und der entschiedene Blick, den sie ihm zuwarf, unterstrich ihre Worte mit unumstößlicher Deutlichkeit. „Entschuldigt mich, während ich meine Tochter zurück ins Bett bringe.“
Über die Schulter ihrer Mutter sah die Kleine neugierig zu Quin hin. Da war etwas in den Augen des Mädchens, in ihrem Gesicht … Diese seltsame Vertrautheit verdrängte nahezu das Erstaunen über die Tatsache, dass Nicole Mutter war.
Die intuitive Erkenntnis, die ihn plötzlich durchfuhr, war fast zu überwältigend, um von seinem Verstand erfasst zu werden.
Mein Kind!
Davon war er felsenfest überzeugt. Das Alter passte auch, die Kleine musste ungefähr vier sein.
Mutter und Kind verschwanden jetzt aus seiner Sicht. Quin richtete seine Aufmerksamkeit auf Linda, seine Augen forschten bohrend in ihrem Gesicht nach der Wahrheit.
„Sie ist von mir, nicht wahr? Sie ist mein Kind!“
Linda fasste sich erschreckt an den Hals, so als wolle sie die Antwort zurückhalten. Bang schüttelte sie stumm den Kopf. Quins Ansicht nach dürfte es keinen Grund zur Angst geben, es sei denn, es stimmte und man wollte es ihm verschweigen. Wie sie es schon fünf Jahre lang getan hatten!
Er schob sich an Linda vorbei ins Haus und stürmte durch die Diele, getrieben von dem Bedürfnis, sich absolute Gewissheit zu verschaffen. Eine Tür stand leicht offen, Licht fiel durch den Spalt. Er schob sie auf.
In dem hellen Licht der Deckenlampe blieb Quin für einen Moment wie betäubt stehen, als sein Blick auf den faszinierenden Schmetterlingsbaum fiel, der in einer Zimmerecke neben dem Fenster stand. Weiß angestrichene Treibholzäste waren zu einem buschähnlichen Gebilde zusammengesetzt worden, auf dem Dutzende von Schmetterlingen in allen Formen und Farben und aus verschiedenen Materialien festgesteckt waren. Ein wunderschönes Dekorationsstück für das Zimmer eines kleinen Mädchens, dachte er und riss seinen Blick davon los, um ihn auf Mutter und Kind zu richten, auf die beiden Menschen, die sein Leben innerhalb eines Sekundenbruchteils auf den Kopf gestellt
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