Stahlfront 1: Die Macht aus dem Eis
Triebwerksauslasses ragte ein dünnes, etwa zehn Fuß langes Rohr nach hinten aus dem Rumpf heraus. Am Ende des Rohrs befanden sich die beiden dreieckigen Flächen eines V-Leitwerks. Somit war die gesamte Maschine nur rund dreißig Fuß lang. Sie sah extrem schnell und wendig aus. Mike konnte sich gut vorstellen, daß es enormen Spaß machen mußte, ein solches Gerät zu steuern.
Besonders interessant fand er die vier Raketenhalterungen auf den Tragflächen. Diese Anordnung war höchst ungewöhnlich, denn das Aufmunitionieren der Maschine durch das Bodenpersonal wurde dadurch deutlich erschwert - wenn auch die beiden Raketen, die noch nicht verschossen worden waren, relativ klein und zierlich aussahen. Vermutlich waren es nur Kurzstreckenwaffen, so wie auch der ganze Jäger vor ihm nicht den Eindruck machte, für besonders weite Flugstrecken ausgelegt zu sein. Die Tanks der Maschine würden nicht viel Volumen aufweisen.
Stealth-Eigenschaften konnte die Maschine nur bedingt bieten. Dank ihrer Form und des V-Leitwerks war sie von unten und von der Seite vielleicht nicht gut zu orten, aber die Raketen auf den Flügeln mußten auf den Schirmen einer AWACS-Be-satzung, die sie von oben anpeilte, aufleuchten wie Wunderkerzen.
Als sich der gigantische Schatten von hinten über ihn schob, ahnte der Amerikaner noch nicht, daß er gleich Antworten zumindest auf einige seiner Fragen bekommen sollte.
*
Unwillkürlich verriß McBain die Maschine, als unmittelbar über ihm eine Konstruktion von schier unübersehbaren Ausmaßen auftauchte. Er mußte sein gesamtes Können aufbieten, um die wild stampfende und schlingernde B-2 abzufangen. Oft würde er dieses Manöver nicht mehr wiederholen können, vor allem, da die Triebwerke ohne ihre Steuerungscomputer immer heißer wurden und deutlich an Schub verloren. Allein dieses Abfangmanöver hatte ihn fast zweitausend Fuß Höhe gekostet.
Die Gigantmaschine hatte ihre Höhe beibehalten. Das Licht des frühen Morgens beleuchtete ihre Unterseite. McBain sah eine Nurflügelkonstruktion von bisher nicht für möglich gehaltenen Ausmaßen: Die Maschine hatte einen Dreiecksflügel, aus dem nach vorne eine schlanke, teilverglaste Rumpfgondel ragte. Die äußeren Flügelenden waren leicht nach unten abgeknickt, oben auf dem Knick stand an jeder Seite ein nach innen geneigtes Seitenleitwerk, das aus Mikes momentaner Position allerdings nur schwer zu erkennen war. (Später sollte er erfahren, daß die Spannweite des zehnstrahligen Flugzeugs einhundertacht Meter betrug, die Länge in der Mittelachse zweiundfünfzig Meter.)
Faszinierend war aber nicht allein die Größe der Riesenmaschine. Die vier Jäger, die ihn geleitet hatten, zogen unter ihren Rumpf, und von hinten stießen vier weitere Maschinen des gleichen Typs hinzu, die seinen Bomber offenbar rückwärtig abgesichert hatten.
An der Flügelunterseite des Gigantvogels öffneten sich Luken, aus denen dünne Gestelle ausgefahren wurden. Die kleinen Jäger steuerten diese Gestelle an und hakten sich ein. Dann wurden sie nach oben bis fast in den Rumpf der Maschine gezogen. Der ganze Vorgang dauerte nicht einmal eine Minute, die Jägerpiloten hatten ihre kleinen Geschosse wirklich hervorragend im Griff.
Die Unterseiten der Jägerrümpfe ragten aus dem des Trägerflugzeugs kaum heraus. McBain war felsenfest davon überzeugt, daß die große Maschine über mindestens so gute Stealth-Eigenschaften verfügte wie seine B-2. Deshalb also trugen die Jäger ihre Raketen auf den Flügeln: Sobald sie wieder unter dem Bauch von »Mutter« klebten, ragte keine einzige verräterische Kante mehr hinaus in den Strom gegnerischer Radarwellen.
Plötzlich machte die Riesenmaschine einen Schwenk nach unten, so elegant wie ein Segelflugzeug. McBain hätte es niemals für möglich gehalten, daß ein derart überdimensioniertes Flugzeug mit solcher fast schon beschwingten Leichtigkeit durch die Luft schneiden könnte.
Der Gigant jagte herab, setzte sich vor die B-2 und wackelte mit den Flügeln - die einzige Möglichkeit der Kommunikation, die noch blieb. Dann drückte der unbekannte Pilot seine Maschine nach unten, dem Meer entgegen. Er ging höchstwahrscheinlich davon aus, daß ihm die waidwunde B-2 folgen würde. Doch Mike wußte auf einmal nicht mehr, ob er der fremden Maschine folgen sollte. Denn er hatte das Hoheitszeichen an der Seite der Cockpitgondel entdeckt. Endlich wußte er auch den merkwürdigen Akzent des fremden Piloten einzuordnen.
Die
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