Stahlfront 1: Die Macht aus dem Eis
wenig ruhmreichen Ende geführt hatte. Ja, da stand es: Unter dem Pseudonym »Wikinger« nutzte er einen Thread,in dem es um einen von einem Afrikaner begangenen Mord an einer deutschen Frau ging, zu übelster Hetze gegen »Neger«, die man seiner Meinung nach nicht frei herumlaufen lassen dürfe. »Wikinger« sprach sich ausdrücklich für die Wiedereinführung der Sklaverei aus. Damit war der Tatbestand der Volksverhetzung nach Paragraph 130 des Strafgesetzbuchs eindeutig gegeben. Und nicht nur das: In anderen Strängen bezeichnete Baumbach sich selbst als »Arier« - und die waren für ihn in seiner verblendeten Ideologie etwas ganz Besonderes, allen anderen Menschen haushoch überlegen. Es war nicht zu leugnen, Baumbach hatte der Herrenmenschenideologie der Nazis bis zu seinem Tode angehangen.
Wittmann hatte sich immer noch kein Bild von dem ehemaligen Rottenführer gemacht, aber eines stand für ihn fest: Baumbach war dumm gewesen. Die Menschen waren alle gleich. Jemanden für etwas Besseres zu halten nur wegen der Umstände seiner Geburt war einfach dumm. Dann könnte man ja auch gleich die alten Adelsprivilegien wieder einführen.
Immer wieder machte der so plötzlich und gewaltsam Verstorbene die Demokratie in der Bundesrepublik verächtlich, schien einen regelrechten Haß auf sie zu haben - einen Haß, der durch jeden seiner Beiträge durchschien und den er offenbar nur schwer zu zügeln vermochte.
Die Auswertung beschlagnahmter Computer gehörte zum Tagesgeschäft des Verfassungsschutzes, und Wittmann war gut in dem, was er tat, obwohl er diese Arbeit nicht besonders liebte. Die meisten Daten, die man dabei fand, waren harmlos und zu neunundneunzig Prozent völlig uninteressant.
Er erinnerte sich an einen Fall aus seinen ersten Wochen im Amt: Er hatte die Festplatte eines Rechtsextremisten durchsuchen sollen und partout nichts gefunden. Es gab zwar mehrere zehntausend Dateien, aber alle hatten völlig harmlose - und legale - Inhalte. Der Mann war nicht nur rechts, sondern auch ein großer Musikfreund gewesen. Aus lauter Verzweiflung hatte Wittmann die zahlreichen Ordner mit Musikdateien durchsucht, um wenigstens ein paar illegale Downloads aufzutreiben. Wenn man dem Rechten schon keine politische Straftat nachweisen konnte, hätte man ihm vielleicht wenigstens auf diese Art und Weise ein paar Scherereien machen können.
Aber es war zum Verzweifeln: Alle Musikstücke, die nicht von einer CD in den Rechner gespielt worden waren, stammten aus legalen Musikbörsen, für jeden Titel hatte der Kerl brav bezahlt.
Wittmann hatte schon aufgeben wollen, als er in den Ordner »Blondie« geschaut hatte. Natürlich hatte er auch darin Musik der amerikanischen Kultband um Frontfrau Debbie Harry vermutet. Aber tatsächlich befanden sich in diesem Ordner zahlreiche illegale Dokumente volksverhetzenden Inhalts, darunter Hitlers Machwerk »Mein Kampf« und Rosenbergs noch übleres Geschreibsel »Der Mythus des 20. Jahrhunderts« - nebst Listen, an wen der Beschuldigte die Dateien weitergeleitet hatte.
Damit war der Tatbestand des Verbreitens verfassungsfeindlicher Schriften erfüllt, und der Mann hätte abgeurteilt werden können. Anfangs hatte Wittmann sich geärgert, daß er nicht gleich das Suchwort »Blondi« eingegeben hatte - schließlich hatte Hitler einst seine Schäferhündin so genannt. Und über »Blondi« wäre er auch auf »Blondie« gestoßen. Aber auf die Idee, eine Assoziationskette von einer amerikanischen Band zu Hitlers Schäferhund und verfassungsfeindlichem Material zu knüpfen, mußte man erst einmal kommen. Noch heute wunderte er sich immer wieder über die kruden, verschlungenen Gedankenwege der Rechten.
Inzwischen verfügte der Verfassungsschutz über wesentlich feinere Werkzeuge zur Aufklärung fremder Computer. Die heute verwendeten Suchroutinen schauten nicht nur in die Dateinamen, sondern in die Inhalte selbst. Man konnte graphisch suchen - etwa nach Hakenkreuzen, Reichsadlern oder Runen -oder nach bestimmten Begriffen. Hier die richtigen Suchworte zu finden war eine Kunst, wollte man nicht mehrere zehntausend Treffer auf einmal bekommen.
Einer Eingebung folgend, gab Wittmann den verknüpften Begriff »blonde Frauen« ein. Viele Treffer gab es nicht - und die meisten kamen aus dem Löschbereich, in den Computer all diejenigen Dateien verschoben, die der Nutzer »löschte«: Tatsächlich waren sie keineswegs gelöscht, sondern nur in den Teil der Festplatte verlagert, auf den normale
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