Stahlfront 6: Aldebaran... und Mars!
wollte er es auch nicht verlassen. Wie gern hätte er Akabara in sein großes Anwesen gebracht - das allerdings, wenn er ehrlich darüber nachdachte, eine primitive Hütte war im Vergleich zum prächtigen Palast ihres Vaters.
Fröstelnd zog er seinen Pelz enger um sich. Der war zwar von feinster Qualität, kostbar, weich und flauschig, wie man ihn nur im Süden fand, aber er war auch ziemlich dünn. Die dicken Jakken der Mannen, gefertigt aus dem Pelz des Ursuk, Unslands größtem Raubtier, waren nicht halb so schön, doch dreimal wärmer.
Gerwulf war einer der letzten Ratsherren, die die große Halle des Things betraten. Im hölzernen Palast des Königs standen überall gemauerte Kamine, deren Feuer wohlige Wärme verbreiteten. So hatte der Kapitän seinen edlen Pelz in der Vorhalle ablegen können, wo Frauen sich um die Winterkleidung der Ratsherren kümmerten.
Mit Bedacht hatte er für diesen Tag das allerprächtigste Gewand angelegt, das er aus dem Süden mitgebracht hatte. Es bestand aus den feinen Fäden des Netzes einer giftigen Spinne. Für dieses eine Gewand, das ihm sein schwarzer Schwiegervater zur Hochzeit geschenkt hatte, hatten mehr als tausend Frauen Spinnennetze sammeln, behandeln und zum kostbarsten Stoff der Welt weben müssen. Dieses Gewand war mehr wert als die Bekleidung aller übriger Ratsherren zusammen, ja, es war mehr wert als der Königspalast. Allein 27 Frauen waren ums Leben gekommen, weil sie beim Einsammeln der Netze unvorsichtig gewesen und von den Spinnen gebissen worden waren.
König Aamapongo von Gumbdwana hatte Gerwulf dieses Geschenk gemacht, weil er ihn an sich binden und an seinem Hofe halten wollte. Der große Nordmann sollte Oberbefehlshaber seiner Armee werden, seine Soldaten in den Kriegskünsten der Mannen ausbilden und seinen Zimmerleuten zeigen, wie man seetüchtige Langboote baute. Doch der Kapitän hatte andere Pläne.
Er wollte mit dem Reichtum, den ihm diese Fahrt beschert hatte, von Unsland aus eine ganze Flotte von Schiffen betreiben, deren Bau er zu bezahlen gedachte und deren Kapitäne nicht mehr selbständig, sondern seine Untergebenen sein sollten. Also hatte er seine Frau und seinen neugeborenen Sohn genommen und war bei Nacht und Nebel in See gestochen. König Aamapongo hatte das bestimmt nicht gefallen, doch Gerwulf hatte nicht vor, ihn jemals wiederzusehen.
Nicht zuletzt deshalb war es wichtig, daß es ihm heute gelang, das alte und völlig überholte Gesetz über die Bevölkerung Unslands zu kippen.
Nachdem eine Reihe nichtssagender Problemchen ausführlich diskutiert worden war und der amtierende König Knut wie erwartet angekündigt hatte, sich nicht noch einmal zur Wahl zu stellen, kam Gerwulfs Antrag zur Sprache, das Heimatgesetz zu ändern und auch Angehörige anderer Völker in Unsland leben zu lassen. Der Kapitän hatte sich sehr sorgfältig auf diesen Moment vorbereitet. Er war sich sicher, die anderen mit seinen Argumenten überzeugen zu können. Vielleicht würden sie ihn sogar zum König wählen - und wenn nicht heute, dann doch in wenigen Jahren, wenn er als reichster Mann Unslands darauf setzen konnte, daß viele ihm verbunden waren. Aber anders als all seine Vorgänger plante er nicht, den Titel des Königs je wieder abzugeben: In Aamapongos Reich hatte er gesehen, was ein wirklicher König - einer mit Macht! - erreichen konnte.
»Es heißt, das Heimatgesetz sei uns von den Göttern selbst gegeben«, begann er seine Rede. Gerwulf glaubte nicht an die Existenz von Göttern, doch das durfte er seinen abergläubischen Landsleuten nicht verraten. »Aber dafür gibt es keinen einzigen Beweis! Ich glaube, daß dieses Gesetz von Mannen gemacht wurde wie alle anderen Gesetze auch .«
Unruhe machte sich im Saal breit, aber damit hatte er gerechnet. »Die Götter sorgen für und achten auf uns, aber sie haben anderes zu tun, als sich um Kleinigkeiten wie Gesetze zu kümmern. Das wäre ihrer nicht würdig !« Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Es wurde ruhiger. »Es ist unsere Aufgabe und unser von den Göttern legitimiertes Recht, dem Volk Gesetze zu geben und sie auch zu ändern, wenn das erforderlich wird. Die Welt jenseits der Meere ist groß, bunt und vielfältig. Wir aber wären einfältig, wollten wir uns der Welt weiter so verschließen, wie wir es tun. Wir leben heute in anderen Zeiten als jener, in der Unsland gegründet wurde. Stellen wir uns der Welt von heute, öffnen wir uns ihrer Vielfalt und lassen wir auch unsere Heimat
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