Stahlhexen
Tweedjacketts mit vorgebundenen weißen Schürzen, Hornbrillen auf der Nase und Pfeifen im Mund, alle begeistert lächelnd. Atomforscher im Stil der dreißiger Jahre. Die Felwell-Leute arbeiteten dann im amerikanischen Manhattan-Projekt mit und steuerten ihr Wissen zur Entwicklung der Hiroshima- Bombe bei. Zu den Beratern in diesem Projekt hatte auch die Bellman Foundation gehört, heute ein riesiger Luftfahrt- und Rüstungskonzern.
Hadesium: ein chemisches Element. Von silbriger Farbe. Spaltbar; daher in Brennstäben für Atomkraftwerke und Nuklearwaffen nutzbar. Wurde bisher, soweit bekannt, nicht zur Waffenherstellung verwendet. Gewisse Mengen von Hadesium wurden Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts im Felwell-Laboratorium, Cambridge, England, hergestellt. Aufgrund seiner gefährlichen Eigenschaften wurde es von seinen Entdeckern nach dem Hades, dem Gott der griechischen Unterwelt, benannt.
Wie die hergestellten Hadesium-Mengen verwertet oder entsorgt wurden, ist wegen ungenauer Aufzeichnungen - und nicht etwa wegen Datenverlust - leider nicht nachvollziehbar.
Ja, diese begeisterten Männer mit den weißen Schürzen sahen wirklich nicht aus wie die perfekten Datenverwalter. So was kommt vor.
Ein paar verschrobene Hinweise auf Webseiten von Verschwörungstheoretikern. Lange, komplizierte Analysen, wie viel Hadesium produziert und wie viel davon in der For-schung der dreißiger Jahre verbraucht worden sei. Angeblich sollten irgendwo noch Unmengen von dem Zeug lagern. Immer wieder versteckte Anschuldigungen, die Bellman Foundation horte das Zeug für spätere Nutzung. Und natürlich auch massenhaft Rechtschreib- und Syntaxfehler. So ist das nun mal im Internet. Irgendwo unterläuft jemandem ein Schnitzer, und gleich hocken sich eine halbe Million Menschen hin und setzen Gerüchte in Umlauf.
Gemeinsame Atomforschung, betrieben in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts? Ein nach einem Unterweltgott benanntes radioaktives Element? War das die Verbindung zwischen Felwell und Bellman? Oder gab es, was wahrscheinlicher war, einfach nur ein Firmenstipendium für Doktoranden?
Fletcher schaltete den Bildschirm aus und breitete weitere Unterlagen auf seinem Schreibtisch aus. Die Kopie des Fotos aus Nathan Slades Album - seine Eltern in den letzten Wochen ihrer Ehe. Das Foto von ihm als Dreijährigem neben seiner Mutter auf diesem Weg in Cambridge. Der vergrößerte Ausschnitt dieses Fotos, den er in Daisy Seagers Haus gefunden hatte: nur er selbst, der kleine Tom Fletcher, im Hintergrund der Weg und der Himmel.
Er schob die Bilder wieder zusammen und schloss sie in seinem Schreibtisch ein.
Dann ging er seine E-Mails durch. Lange dauerte das nicht - das Geschäft der Green Street Investigation lief flau und wurde immer flauer. Wenigstens hatte er eine E-Mail von den Sicherheitsbeauftragten der Universität bekommen, die Donnerstag, 15 Uhr, für ein zweites Treffen vorschlugen und ihn baten, den Termin zu bestätigen. Und ob er sich bitte darauf vorbereiten könne, ihnen darzulegen, wie er sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Polizei von Cambridge vorstelle?
Er mailte zurück, dass er den Termin wahrnehmen werde.
Dann zog er ein sauberes Hemd an und wieder seinen
Parka darüber. Das Treffen mit Mia Tyrone war in zwanzig Minuten, und durchs Fenster sah er im Licht der Schaufenster Eiskristalle funkeln. Auf dem Weg die Treppe hinunter dachte er: Klar, ich kann euch genau sagen, wie man mit der Polizei von Cambridge erfolgreich zusammenarbeitet. Erzählt der Polizei von Cambridge nichts, aber auch gar nichts - und vor allem: Traut ihr niemals über den Weg.
Dürfte ein interessantes Gespräch werden.
Bessies Zeit war gekommen. Sie hatte den Mohnsamen abgelehnt, weil sie wusste, was die Männer ihr antun würden. Die Nacht über war sie in dem großen Haus eingesperrt gewesen - heute ist es unser Haus - und zum Trinken hatte man ihr eine Schüssel Wasser aus einer Straßenpfütze hingestellt. Sie trug jetzt wieder ihr blaues Kleid. An Hals und Handgelenken war die Haut weiß, sonst trat sie an keiner Stelle hervor.
Der Hexenjäger las ihr, im Sattel sitzend, das von ihm verfasste Dokument vor. Sie schaute zum Himmel auf, er war blau. An ihrer Schläfe und am Hals pochte eine Ader. Granny hat gesagt, der Hexenjäger brauchte eine Weile, bis seine Ansprache beendet war. Und die ganze Zeit über, hat Granny gesagt, betrachtete Bessie die großen Wolken, die übers Land zogen. Als der Hexeryäger
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