Stahlstiche
Straße, unter der S-Bahn durch zum Hackeschen Markt: die einzige wirkliche Demonstration in der Nazi-Zeit. Die Frauen kämpften um ihre jüdischen Männer – eine schweigende kleine Armee in Kopftüchern und mit Henkeltaschen; die Straßenbahn bimmelt – sie weichen nicht; Polizei kommt – sie schwappen in die Heidereuter Gasse, in die Burgstraße, in die Spandauer Straße. Der mitternächtliche Bombenangriff, bei dem die Hedwigskirche, die Münze, die Reichsbank zerstört wurden, beendete die grause Szene. Der Spuk war vorbei, um Platz zu machen dem nächsten.
Bürgschaften aus den USA , Affidavits, Visa: Mal war das eine verfallen, mal kam das andere zu spät. Und als alles da war, abgeschickt von einer jüdischen Hilfsorganisation aus Farmingdale in New Jersey, und meine Mutter in die damalige Friedrich-Ebert-Straße rast, die nun Hermann-Göring-Straße hieß: ist die Botschaft geschlossen. Deutschland hat den USA den Krieg erklärt. Aber sie wußten das nicht. Jüdische – auch «jüdisch versippte» – Familien durften kein Radio haben, keine deutsche Zeitung abonnieren. Manchmal gingen sie zum Ullstein-Schaukasten am Hackeschen Markt und lasen den Aushang. «Ich wäre nicht geblieben», wie leicht sich das sagt. Wohin? Mit was für Geld? Palästina – für viele war das eine Wüstenei. «Wir waren und wir sind Deutsche», dachten und sagten viele. Sie wollten sich von biertrunkenem Pöbel nicht ihre Heimat absprechen lassen. Aber in Wahrheit waren wir ausgesetzt und Aussätzige. Der «Jüdische Kulturbund» war aufgelöst, das Feigenblatt für eine Nation, die sich anschickte, die Welt zu erobern, nicht mehr nötig. Der letzte Auftritt der jüdischen Schauspieler fand in der Oranienburger Straße 31 statt: Da durften sie die Mitgliederkarten der nun verbotenen Jüdischen Gemeinden sortieren und die Listen für Abholen und Abtransport anlegen, unter ihnen auch der letzte jüdische Chefredakteur in Berlin, Leo Kreindler. Zu ihm trat der SS -Obersturmbannführer Brunner und sagte, «So, und nun setzen Sie Ihren Namen noch als letzter auf die Liste, dann ist sie fertig.» Kreindler hatte Glück – er starb in derselben Sekunde am Herzschlag.
Und Papa wird zur Zwangsarbeit in einer Wäscherei und Färberei abkommandiert, das war die «Freiheit», die meine Mutter ihm erstritten hatte. Kügler & Kruse reinigen und flicken die zerschossenen, blutgetränkten Uniformen von Deutschen, Franzosen und Russen, damit sie wiederverwendet werden können. Auf dem Weg bis S-Bahnhof Lichtenberg trägt Papa
seine
Uniform – den sechszackigen Stern. Nie hat dem von Schwerstarbeit zermürbten Mann auch nur jemand einen Sitzplatz angeboten, eine Zigarette, irgend etwas. Und Herr Kruse hatte diese schöne deutsche Gemütlichkeit: «Frieha warn meine Kundn fast allet Judn. Da wer ick dem hier schon nischt tun, wenna orntlich arbeetet. Aba Zucka inn Arsch pust ick ihm ooch nich.»
Mein Vater schleppt die schweren Uniformpakete, damit Eure Soldaten wieder wohlgekleidet in andere Länder einfallen können. Mein Vater, der Jude, steht an Maschinen, die man Juden gestohlen hat, und arbeitet, ein Sklave für die deutsche Wehrmacht. Und mein Vater, als die ersten Fremdarbeiter beim gutmütigen Herrn Kruse ihr Blut aus Jacken, Hemden, Hosen waschen dürfen, ist der Dolmetscher. Towarischtschi ist das erste Wort, mit dem er die Verhungerten, Verlausten, Abgerissenen begrüßt. Er hat das Wort nie vergessen. Und ich auch nicht. Es heißt: Genossen.
Wollen wir das gelten lassen als Kassiber? Ich bitte darum. Denn schon das geflüsterte «Rosenstraße-Weitersagen» ist einer, ist das Raunen Verdammter.
Ihr Wort als Hoffnung zur Freiheit ist damit selber ein kleines Stück Freiheit. Das wuchert in gar verschiedenen Genres. Bei einem berühmten Dichter des arabischen Mittelalters lesen wir: «Dem Wort des Herrschers widersprechen wollen, heißt seine Hand im eigenen Blut baden. Wenn er am hellen Tage sagt: ‹Es ist Nacht›, so sprich: ‹Hier sind der Mond und die Plejaden.›»
Ein anderes Beispiel: Während der Diktatur in Haiti führten Wanderschauspieler, die beim Erscheinen einer Polizeistreife jederzeit in der Menge untertauchen konnten, Szenen wie die folgende in den Straßen der Hauptstadt auf. Ein Polizeioffizier hält lauthals einem Verhafteten dessen Vergehen vor: «Man wirft dir vor, dein Geld den Polizisten nicht freiwillig zu geben. Du sollst dich geweigert haben, dem großen Chef die Stiefel zu lecken.
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