Stahlstiche
Garn ein Lasso zu knüpfen; das nutzte er, um uns einzufangen. Aber ein Lasso – außer im Trickzirkus – steht ja nicht allein in der Luft, am Ende hängt immer der, der es wirft: einer von uns. Grass weiß genau, daß er mitgefangen ist: «Ab vierzig sollten alle Männer wieder gesäugt werden: öffentlich und gegen Gebühr, bis sie ohne Wunsch satt sind und nicht mehr weinen, auf dem Klo weinen müssen: allein.»
Wer sich aber so als mit-gefangen, als mit-trostbedürftig sieht, der will auch Trost spenden. Im Falle Grass heißt der Trost auch Trotz. Es ist das Aufbäumen gegen das Böse um uns herum – gegen das, was er, mal zetervernarrt, mal wahrlich im Recht, für das Böse hält. Ich glaube, daß seine gelegentlich quälende Interventionswut, diese höchst merkwürdige protestantische Katholizität, dort ihre Quelle hat. Ob er nun einen Politiker – die Politik – attackiert oder unsereinem, etwa dem geachteten Kritiker Joachim Kaiser, vorschlagen (wenn nicht gar vorschreiben) will, worüber er demnächst ein Buch zu schreiben habe: Es verdankt sich stets dem nicht enden wollenden Versuch zum Selbstbildnis. Die Grass-Gebärde des «Du sollst» (oder «Du sollst nicht») wird stets vollzogen von der Hand des Zeichners, der sich selber bannt. Deshalb sind so viele seiner Gedichte Bann-Sprüche im doppelten Sinne des Wortes:
Mit ihrem Tuch nahm sie den Schweiß ab
und überlieferte sein Gesicht.
Ich zeichne bei Ebbe, damit die Flut,
dies, das, Dich und Dich in den Sand.
(Könnte ich wie der Staub,
bis ich mich nicht mehr verstehe.)
Es gibt aber kein Selbstbildnis von Rembrandt bis van Gogh, in das
Welt
nicht miteingeschrieben ist, und sei es eine Zornesfalte, ein dem Kummer abgetrotztes Lächeln. Der Mensch ist immer Welt. Die mag es ohne ihn geben, ihn gibt es ohne sie nicht. Also ist es ein Dreiklang: Sich-Aussetzen, Ausgesetzt-Sein, Sich-Einsetzen. Für meine Ohren ist es dieser Dreiklang, auf den die Arbeit von Günter Grass hört.
Wenn dem so ist, bleibt Wirkung nicht aus. Und die hat zumindest zwei Namen – Erfolg und Echo. Ein hartnäckiges Gerücht will, daß der Erfolg nicht gänzlich vorbeigegangen ist an Günter Grass. Das Echo – man weiß, es verzerrt den Ruf – ist fast selber Gerücht; zu immer neuem Erstaunen vielfältig bösartig. Steht die Sonne tief, werfen selbst Zwerge lange Schatten – so ähnlich steht es bei Karl Kraus. Nicht, als habe der (zu?) früh Berühmte keine Widerworte provoziert, oft auch fleißig verdient. Er ist ein dünnhäutiger Elefant. Der kann nicht nur trampeln und trompeten, sondern er hat auch ein ungewöhnliches Gedächtnis, und – so sagen die Zoologen – er ist fürsorglich; er tut etwas für die Kunst (wie Brecht noch harmlos bemerkte): Er liefert Elfenbein. Viel Elfenbein, viel Neid. Den hat Elefant Grass mit nicht selten allzu erhobenem Rüssel sich eingeholt.
Es gibt hinreichend viele seiner Kollegen – nicht nur die von ihm albern verschrienen «Sekundär»-Kritiker –, die den
primus inter Pares
nicht als «gleich», gar als
primus
werten mögen. Künstler mögen Wertskalen nicht; dazu gibt es köstliche Sottisensammlungen. Übrigens nicht nur Künstler. Gut möglich, daß mit ähnlichen Distanzvermessungen Grass andere Schriftsteller verletzt hat; er, der Verletzliche, könnte im hohen Alter ja mal darüber nachdenken.
Darum will ich mich durchaus nicht herummogeln. Nur: Mogeln, das eben ist Günter Grass’ Sache nicht. Ich, der ich ihm seit über vier Jahrzehnten in höchst streitbarer Freundschaft verbunden bin, habe ihn dabei jedenfalls nicht ertappt – sofern man unter Mogeln versteht, sich ins Abseits zu stellen. So kann ich auch nicht, um den Teufel bei den Hörnern zu packen, sein so wütend zerriebenes «Zwiebel»-Buch als Mogelei ansehen. Ja, unrecht hat er seitenweise in diesem Buch; so viel unrecht, wie das Leben es hat – seines, das er aufblätterte, und das Leben aller Pharisäer-Armeen. «Ich suche ein Wort für Scham», endet sein Gedicht «Drei Fragen». Mir scheint, das Wort hat er gefunden, Wörter dafür – kurz vor seinem 80 . Geburtstag. Her mit den Primeln? Her mit den Wünschen für das Glück? Alles Gute, Günter Grass!
*
Fazit am Abend
Ein Gespräch
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR : Herr Raddatz, es verbindet Sie eine jahrzehntelange Freundschaft mit Günter Grass. Worauf begründet sich diese Freundschaft, was schätzen Sie an Günter Grass?
FRITZ J. RADDATZ : Ich muß zuerst sagen – und
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