Stahlstiche
das hilft uns vielleicht, wenn ich voran einen herzlichen Glückwunsch dem Kollegen, dem Autor, dem großen Schriftsteller ausrichten möchte –, daß ich nicht mehr befreundet bin. Das war einmal, aber wir sind auseinandergeraten. Das gehört hier eigentlich nicht hin, aber ich wollte das zu Beginn der Korrektheit halber sagen.
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR : Sie haben sich in der langen Zeit, in der Sie befreundet waren, gegenseitig aus den Manuskripten vorgelesen. War das manchmal auch so wie eine literarische Werkstatt?
FJR : Ja, es war die Gruppe 47
en miniature
, und das waren immer besonders fruchtbare und angenehme Abende, zumal der sogenannte große Grass durchaus kritikoffen war. Manchmal sogar auch noch nach Erscheinen eines bestimmten Buches: etwa ein langer Abend, an dem ich ihm vorwarf, was ich an dem Fontane-Roman «Ein weites Feld» mißglückt finde; also er war keineswegs nur der große liebe Gott, der meinte, alles richtig gemacht zu haben.
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR : Grass hat sich ja diese Sprache, die sein Werk auszeichnet, sehr hart erarbeitet, sehr autonom auch in den ersten Jahren in Paris. Was macht diese Sprache für Sie aus, was macht diese Sprache für Sie besonders?
FJR : Also – es ist sowohl Phantasie als Genauigkeit, und beides formt ein großes Werk – sowohl in den frühen Gedichten, sagen wir mal in «Gleisdreieck», aber auch noch in «Novemberland», also den fünfzehn Sonetten, ganz wundersame Gedichte, als auch in den gelungenen Prosa-Arbeiten. Nun ist natürlich nicht alles Gold, was glänzt, und alles ist nicht gelungen, bei keinem Autor der Welt. Aber nehmen wir mal die Erzählungen «Katz und Maus» oder «Treffen in Telgte» oder den von mir besonders für gelungen erachteten Roman «Der Butt», da löst Grass diese seltsame und – vor allen Dingen im «Butt» – geradezu märchenhafte Melange aus Phantasie, aus Nacherzählung von Vorgefundenem, das Aushöhlen vorgefundener Formen und das Ganze in neue Form gießen ein.
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR : Die «Blechtrommel» ist ja tatsächlich Grass’ berühmtestes Buch. 1958 trat er bei der Gruppe 47 auf, um daraus, aus dem damals noch unveröffentlichten Manuskript, vorzulesen, und nach allem, was man weiß, waren alle Anwesenden wie elektrisiert. Was ist so besonders gewesen damals an diesem Buch?
FJR : Es gab zu der Zeit mehr den realistischen Roman als diesen barockstrotzenden, fabulierenden Prosafluss; das war etwas ganz Neues. Daß er gleichzeitig die Politik, schon der ganz frühe, eher noch junge Günter Grass, ich glaube dreißig war er, schon die Politik mit einflocht, das ist sozusagen der neue Grimmelshausen für uns alle gewesen, der schließlich auch den Dreißigjährigen Krieg einflocht. Deswegen der einhellige Beifall nach der Lesung und – mit wenigen Ausnahmen – auch der einhellige Beifall in der deutschen und später in der internationalen Kritik.
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR : Man hat es ihm sehr übelgenommen, daß er erst 2006 eingeräumt hat, daß er Mitglied der Waffen- SS war. Haben Sie ihm das damals auch übelgenommen, daß dieses Eingeständnis so spät kam?
FJR : Ja, ich habe ihm das übelgenommen, und an einem langen, langen, nicht ganz ohne Alkohol verbrachten Abend haben wir uns darüber unterhalten. Ich habe ihm
mehr
vorgeworfen – oder
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übelgenommen, daß er meinte, er habe die ganze Zeit von nichts gewußt, die ganze Zeit, bis noch fast nach dem Krieg an den Endsieg geglaubt. Das fand ich törichter und schlimmer als diesen Irrtum eines 17 Jährigen, sich in die SS ziehen zu lassen.
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR : Sind es denn auch diese politischen Dinge gewesen, die zum Zerwürfnis geführt haben zwischen Ihnen beiden?
FJR : Ja, es sind politische, vor allen Dingen unterschiedliche Bewertungen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gewesen, aber ich will noch einmal sagen: Das, was man jetzt vor allem bei Grass, an Grass rügt und ihm mit zum Teil harscher, ich finde manchmal überzogener Kritik entgegenhält, seine gewiß abstrusen und manchmal starrsinnig-hartnäckig verteidigten Irrtümer, machen nicht gänzlich den Autor Günter Grass aus. Das wäre so, als würde man heute Bertolt Brecht nur beurteilen anhand seiner banalen und unangenehmen Stalin-Gedichte; kein Mensch käme auf diese Idee. Also Literaturgeschichte schreibt sich anders. Es mag sein, daß es das journalistische Gewerbe ist, das jeweils etwas aufgreift oder aufpickt, das sich am Tage oder vorgestern
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