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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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macht man sich das Leben schwer, wenn man ständig an seine früheren Fehler denkt und sich dafür immer beschimpft. Mit Schimpfen ist da nichts getan. Das Gewehr, denke ich, kennen Sie nun und könnten auch einen Soldaten lehren, damit umzugehen …«
    »Vielleicht haben Sie recht.« – Pause. – »Aber wissen Sie … Wenn ich vor dem Kriege zum Beispiel Schirjajew getroffen hätte … hätte ich nie geglaubt, daß ich ihn einmal beneiden würde.«
    »Beneiden Sie ihn?«
    »Ich beneide ihn.« – Wieder eine Pause. – »Ich kenne mich nicht schlecht aus in den Fragen der höheren Mathematik. Habe doch acht Jahre studiert. Aber eine so einfache Sache, wie den Feldwebel bloßzustellen, weil er den Soldaten Lebensmittel stiehlt, bietet für mich beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten.«
    »Sie neigen zur Selbstkritik«, antworte ich.
    »Möglich. Ich denke, daß auch Sie damit zu tun haben, aber nicht darüber sprechen.«
    »Aber warum beneiden Sie denn Schirjajew?«
    »Warum? …« Er steht auf, macht einige Schritte, setzt sich wieder. Ringsherum ist es erstaunlich still. Nur irgendwo, weit hinter dem »Roten Oktober«, spuckt manchmal ohne jeden Eifer ein Maschinengewehr.
    »Weil ich, wenn ich ihn ansehe, meine Minderwertigkeit besonders stark fühle. Ihnen erscheint das lächerlich. Aber es ist so. Er ist ein einfacher Mensch, aus einem Guß, es macht ihm nichts aus zu fragen, ob ich schwimmen oder radfahren kann. Er fühlt nicht, daß er mit diesen Fragen den Nagel auf den Kopf trifft. Ich habe doch gelogen, als ich sagte, ich hätte jemandem ins Gesicht geschlagen. Niemals habe ich jemanden geschlagen. Ich mochte keine Schlägereien, keine körperlichen Übungen. Und jetzt …«
    Er schweigt plötzlich. Schnauft mit der Nase. Das ist bei ihm anscheinend Nervosität. Allmählich fange ich an, ihn zu verstehen, seine Zurückhaltung, seine Verschlossenheit, seine Schweigsamkeit.
    »Macht nichts«, sage ich und versuche, mir etwas Tröstliches auszudenken. Ich entsinne mich, wie ich ihn angeschrien habe, als ich noch Bataillonskommandeur war. »Für alle ist es schwer im Krieg!«
    »Herrgott im Himmel! Haben Sie mich wirklich so verstanden?« Seine Stimme zittert sogar, er bricht ab vor Aufregung. »Mir hat man doch eine gute Stelle angeboten im Frontstab. Ich kann fremde Sprachen. Man hat mir vorgeschlagen, in die Aufklärungsabteilung zu gehen – mich mit Gefangenen zu beschäftigen. Und Sie sagen, für alle ist es schwer im Krieg …«
    Ich fühle, daß ich mich wirklich ungeschickt ausgedrückt habe.
    »Haben Sie eine Frau?« frage ich.
    »Ja. Warum?«
    »Nur so. Interessiert mich.«
    »Hab ich.«
    »Auch Kinder?«
    »Kinder nicht.«
    »Und wie alt sind Sie?«
    »Achtundzwanzig.«
    »Achtundzwanzig. Ich bin auch achtundzwanzig. Haben Sie Freunde gehabt?«
    »Gehabt, aber …«, er unterbricht sich.
    »Sie brauchen nicht zu antworten, wenn Sie nicht wollen. Das ist kein Fragebogen. Nur so … Meiner Meinung nach sind Sie sehr einsam.«
    »Ach, Sie sprechen darüber …«
    »Ja, darüber. Wir kennen einander bald anderthalb Monate und haben während dieser Zeit heute eigentlich das erstemal miteinander gesprochen.«
    »Ja, heute …«
    »Es erweckt den Eindruck, als ob Sie sich von den Menschen fernhielten, sie mieden.«
    »Möglich …« Und nach einer Weile des Schweigens: »Ich schließe mich überhaupt schwer an Menschen an. Oder, richtiger gesagt, die Menschen an mich. Ich bin, im Grunde genommen, eine wenig interessante Persönlichkeit. Wodka liebe ich nicht, Lieder singe ich nicht und bin im ganzen kein besonders guter Offizier.«
    »Sie haben keinen Grund, so zu denken.«
    »Fragen Sie mal Schirjajew.«
    »Schirjajew benimmt sich gar nicht schlecht zu Ihnen.«
    »Es geht nicht ums Benehmen … Im übrigen ist das alles wenig interessant.«
    »Meiner Meinung nach doch. Ich werde Ihnen offen etwas sagen: Als ich Sie das erstemal gesehen habe – entsinnen Sie sich, dort am Ufer, in der Nacht nach der Ausbootung? …«
    Farber unterbricht mich mit einer Handbewegung.
    »Halt!«, und er berührt mit der Hand mein Knie. »Hören Sie?«
    Ich lausche. Von der anderen Seite der Wolga schweben, zu weilen vom Winde verweht, feierlich und langsam heisere Klänge von Flöten und Geigen heran. Bald kommen sie näher, bald entfernen sie sich wieder. Sie schweben dahin über den Fluß, über die zerstörte, jetzt schweigsame Stadt, über uns, über die Deutschen, über die Gräben, über die Frontlinie, über den

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