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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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übertragen.«
    »Aus Moskau?«
    »Muß wohl aus Moskau sein.«
    Soldaten gehen vorbei. Etwa zehn Mann, einer hinter dem andern, in einer Kette. Sie tragen Granaten und Munition. Man hört, wie Steine unter ihren Füßen kollern, wie sie schimpfen beim Stolpern. In etwa zwanzig Minuten werden sie zurückkehren. Nach einer weiteren halben Stunde werden sie wieder gehen, stolpernd und auf die Dunkelheit schimpfend, auf das herumliegende Eisen, auf Hitler und den Feldwebel, der sie zwingt, vier Bataillonsgranaten auf einmal zu tragen. Während der Nacht werden sie sechs- bis achtmal den Gang machen. Am Tage wird alles verschossen sein, und sowie nur die Sonne untergeht – wieder ans Ufer, vom Ufer in die vorderste Stellung, von der Vordersten ans Ufer.
    »Wie steht’s in der Kompanie?« frage ich.
    »Es geht«, antwortet Farber gleichmütig. »Ohne besondere Vorfälle.«
    »Wieviel Mann haben Sie jetzt?«
    »Noch genauso viele. Mehr als achtzehn bis zwanzig werden es nicht. Von den alten, die damals landeten, ist bald niemand mehr da.«
    »Und Ersatz?«
    »Was ist das schon für Ersatz!«
    »Lauter Grünschnäbel?«
    »Sie sehen zum erstenmal ein Gewehr. Einer ist gestern getötet worden. Ihm ist eine Handgranate in den Händen explodiert.«
    »Hm, ja …«, sage ich. »Eine eklige Sache, der Krieg …«
    Farber antwortet nicht, nimmt aus der Tasche ein Kästchen mit Tabak, dreht sich eine Zigarette und steckt sie am eigenen Stummel an. Für einen Augenblick wird sein mageres Gesicht mit den eingefallenen Wangen beleuchtet, seine knochige Nase, die Falten am Mund.
    »Ist Ihnen nie das Leben als eine unsinnige Sache erschienen?« fragt Farber. Die Zigarette will nicht brennen. Der Stummel ist zu klein, der ganze Tabak fällt heraus.
    »Das Leben oder der Krieg?« frage ich.
    »Nein, das Leben.«
    »Eine schwierige Frage … Unsinniges ist natürlich genügend vorhanden. Aber in welchem Zusammenhang …«
    »Ohne jeden Zusammenhang … Ich philosophiere. Eine Art Bilanz.«
    »Ist das nicht ein wenig zu früh?«
    »Natürlich ist es zu früh, aber einiges kann man dennoch schon zusammenfassen.«
    Er zertritt langsam den Stummel mit dem Stiefelabsatz. Die Glut wird in die Erde gedrückt und glimmt noch lange zwischen den Füßen.
    »Haben Sie früher niemals über Ihr vergangenes Leben nachgedacht? Schien es Ihnen nicht, daß wir, Sie und ich, bis zu einem gewissen Grade ein Leben auf Straußenart geführt haben?«
    »Auf Straußenart?«
    »Wenn man Parallelen ziehen darf, so wird das wohl der treffendste Vergleich sein. Haben wir nicht gleichsam den Kopf in den Sand gesteckt?«
    »Das müssen Sie deutlicher erklären.«
    »Ich spreche vom Krieg. Von uns und dem Krieg. Unter ›uns‹ verstehe ich mich, Sie, überhaupt Menschen, die in Friedenszeiten nicht direkt mit dem Kriege zu tun hatten. Kurzum – wußten Sie, daß es Krieg geben würde?«
    »Ich wußte es wohl.«
    »Nicht ›wohl‹, sondern Sie wußten es genau. Und noch mehr – Sie wußten, daß Sie selbst daran teilnehmen würden.«
    Er tut tiefe Züge und atmet geräuschvoll den Rauch aus.
    »Bis zum Krieg waren Sie Reserveoffizier, nicht wahr? Höhere Ausbildung außerhalb der Armee oder so was Ähnliches.«
    »Zugführer der Reserve.«
    Ich habe Farber noch niemals so viel sprechen hören.
    »Einmal in der Woche hatten Sie Ihren Wehrsporttag. Sie waren alle eifrig bemüht, sich zu drücken. Im Sommer – Lager. Rechts um, links um, im Gleichschritt marsch. Die Kommandeure verlangten zackige Wendungen, klingende Lieder. Während der taktischen Übungen schliefen Sie im Busch versteckt oder rauchten, sahen nach der Uhr, wie lange es noch bis zum Mittag sei. Ich denke, daß ich mich kaum irre.«
    »Offen gesagt, so war es etwa.«
    »Eben hier liegt der Hund begraben … Wir haben uns auf andere verlassen. Während der Maiparaden standen wir auf dem Bürgersteig, die Hände in den Hosentaschen, und sahen auf die vorbeirollenden Panzer, auf die Flugzeuge, auf die marschierenden Soldaten … Ach, wie fein, ach, welche Macht! Das war alles, woran wir damals dachten. Ist doch wahr? Aber daran, daß auch wir einmal würden marschieren müssen und nicht auf Asphalt, sondern auf staubigen Straßen, mit dem Rucksack auf dem Buckel, daß von uns das Leben, wenn auch nicht von Hunderten, so doch von Dutzenden von Menschen abhängen würde – haben wir damals daran gedacht?«
    Farber spricht langsam, sogar schleppend, mit Pausen, tut nach jedem Satz einen Zug. Äußerlich

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