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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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Mamai-Hügel.
    »Kennen Sie es?«
    »Der Teufel weiß es … Es ist etwas Bekanntes … etwas sehr Bekanntes … Ist es nicht Tschaikowskij?«
    »Tschaikowskij. Aus der Fünften Sinfonie, der zweite Satz.«
    Wir sitzen schweigend und hören zu. Hinter unseren Rücken fängt aufdringlich ein Maschinengewehr an zu hämmern, wie eine Nähmaschine. Dann verstummt es.
    »Hier, diese Stelle …«, sagt Farber und berührt mit der Hand wieder mein Knie. »Sie ist wie ein Aufschrei, nicht wahr? Im Finale ist es nicht so. Dieselbe Melodie, aber nicht so. Lieben Sie die Fünfte?«
    »Ja.«
    »Ich auch … Sogar mehr als die Sechste, obgleich die Sechste als die … Gleich wird der Walzer kommen. Lassen Sie uns schweigen.«
    Und wir schweigen. Schweigen bis zum Schluß. Ich erinnere mich wieder an Kiew, an die Kastanien, die Linden, an Ljussja, an leuchtende Blumen, an den Dirigenten mit etwas Weißem im Knopfloch …
    Dann kommt ein Bomber angeflogen – ein schwerer dreimotoriger Nachtbomber. Er wird bei uns aus unerfindlichen Gründen »Tuberkulose« genannt. Aufreizend, monoton brummt er über unseren Köpfen. Einer von den Unseren.
    »Komisch, nicht wahr?« sagt Farber und steht auf.
    »Was ist komisch?«
    »Das alles … Tschaikowskij, der Militärmantel, die ›Tuberkulosen‹ …«
    Wir stehen auf und gehen auf Farbers Unterstand zu. Der Bomber kreist über einer Stelle. Hinter dem Mamai-Hügel strecken sich die Fühler der Scheinwerfer hervor.
    Ich bleibe über Nacht bei Farber.
    21
    Am Siebenten abends kommen die Zeitungen mit dem Bericht Stalins. Wir warten schon lange darauf. Mit gespannter Aufmerksamkeit lesen wir jede Zeile. Im Rundfunk konnten wir nichts verstehen – im Äther knatterte es. Wir haben nur herausbekommen: »Auch unsere Straßen werden wieder im Festschmuck prangen.«
    Dieser Satz wird in allen Unterständen und Laufgräben besprochen.
    »Es wird eine Offensive geben«, erklärt autoritativ Lissagor; er spricht immer sehr autoritativ über alles. »Du wirst es sehen. Nicht umsonst hat Lasar das letztemal gesagt – weißt du noch –, daß irgendwelche Divisionen bei Nacht marschieren …«
    Stalin hat am sechsten November gesprochen.
    Am siebenten November landen die Alliierten in Algier und Oran.
    Am zehnten dringen sie in Tunis und Casablanca ein.
    Am elften November, um sieben Uhr morgens, werden die Kriegshandlungen in Nordafrika beendet. Zwischen Darlan und Eisenhower wird ein Abkommen getroffen. Am gleichen Tage, zur gleichen Stunde, überschreiten deutsche Truppen auf Befehl Hitlers die Demarkationslinie bei Chalon-surSaône und marschieren in Richtung Lyon. Um fünf zehn Uhr besetzen italienische Truppen Nizza. Am zwölften November besetzen die Deutschen Marseille und landen in Tunis. Am dreizehnten November bombardieren die Deutschen zum letzten Male Stalingrad. Zweiundvierzig »Ju 87« werfen in drei Anflügen Bomben auf die Stellungen unserer schweren Artillerie im Abschnitt Krasnaja Sloboda auf dem rechten Ufer der Wolga. Und fliegen fort.
    In der Luft herrscht eine unfaßbare, ungewohnte, erstaunliche Stille.
    Nach zweiundachtzig Tagen unaufhörlichen Donners und Rauchs, nach ununterbrochenen, von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends andauernden Bombardements tritt etwas völlig Ungewohntes ein. Die Wolke über dem »Roten Oktober« verschwindet. Es ist nicht mehr nötig, alle Augenblicke den Kopf zurückzuwerfen und am wolkenlosen Himmel die widerlichen Dreiecke zu suchen. Nur der »Rahmen« erscheint mit seiner früheren Pünktlichkeit morgens und vor Sonnenuntergang, und manchmal rasen die Messerschmitt über unsere Köpfe dahin und verschwinden beinahe sofort wieder.
    Klar – dem Fritzen ist die Puste ausgegangen … In den Gräben sind erregte Diskussionen im Gange – woher und wieso, und ob man die afrikanischen Ereignisse als eine zweite Front werten kann. Die politischen Funktionäre werden überall gefragt. Unser Regimentsagitator, Senitschka Losowoi, klein, schwarz wie ein Käfer, immer aufgeregt, läuft sich die Hacken ab. Er läßt sich kaum noch am Ufer blicken, kommt auf einen Augenblick in den Stab gestürzt, um Radio zu hören, und dann wieder zurück. Und dort, in der vordersten Stellung, hört man nur: »Senitschka, komm her! Senitschka, komm zu uns.« Alle nennen ihn so. »Senitschka.«
    Die Soldaten und die Kommandeure. Der Kommissar hat ihm sogar einmal einen Vorwurf gemacht:
    »Was soll das heißen, Losowoi? Du bist doch Leutnant, und alle rufen dich

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