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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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einfach: ›Senitschka‹ … Das geht nicht.« Er hat nur verlegen gelächelt:
    »Was kann ich machen? Sie haben sich so dran gewöhnt. Wie oft habe ich es ihnen schon gesagt. Aber sie vergessen’s ja … Und ich vergesse es auch.«
    So ist es denn dabei geblieben: Senitschka. Der Kommissar hat es aufgegeben:
    »Er arbeitet wie ein Teufel … Wie kann man ihn schelten?«
    Senitschka arbeitet wirklich wie ein Teufel. Er hat so viel Initiative und Phantasie, daß man nicht verstehen kann, wo das alles in ihm Platz hat, in ihm, der so klein und mager ist. Eine Zeitlang hat er ein Sprachrohr mit sich herumgeschleppt. Die Pioniere hatten ihm ein gewaltiges Megaphon aus Blech gebaut, und er hat tagelang durch dieses Sprachrohr mit Hilfe des Dolmetschers bei den Deutschen agitiert. Die Deutschen wurden wütend, beschossen ihn, er aber klemmte das Sprachrohr unter den Arm und zog an einen anderen Platz. Später begeisterte er sich für Flugblätter und Karikaturen Hitlers. Sie gelangen ihm gar nicht übel. Damals war gerade eine Sendung von Agitationsgeschossen beim Regiment angelangt.
    Als diese zu Ende waren, hat er lange darüber gebrütet, wie er welche aus Konservenbüchsen herstellen könnte; er hat sogar eine Armbrust aus Gummi anfertigen lassen. Aber die Sache klappte nicht recht, die Büchsen erreichten die Deutschen nicht. Da hat er sich eine Vogelscheuche gebaut. (Nach ihm fingen alle Divisionen an, sich solche Vogelscheuchen anzufertigen. Das bereitete den Soldaten großen Spaß.) Er machte aus Lumpen und deutschen Uniformstücken eine Gestalt, die Hitler ähnlich sah, mit einem Schnurrbart und einem Schopf aus gefärbtem Werg, und hängte ihr eine Tafel um: »Schießt auf mich!« Dann hat er sie bei einem Spähtruppunternehmen eines Nachts im Niemandsland aufgestellt, zwischen uns und den Deutschen. Diese gerieten in Wut, haben einen ganzen Tag lang aus Maschinengewehren nach ihrem Führer geschossen, und nachts wurde die Vogelscheuche gestohlen. Sie haben sie gestohlen, aber dabei drei Mann verloren. Unsere Soldaten hielten sich den Bauch vor Lachen:
    »Ach, unser Senitschka!«
    Die Soldaten liebten ihn sehr.
    Leider wurde er uns bald genommen. Als der beste Agitator in der Division wurde er nach Moskau auf eine Schule geschickt. Wir warteten lange auf einen Brief von ihm. Als er endlich kam, wurde im Gefechtsstand des ersten Bataillons – dort war er am häufigsten gewesen – den ganzen Tag an einer Antwort gedrechselt. An Text wurden es nicht mehr als zwei Seiten – und auch da mehr Fragen (»Bei uns ist alles beim alten – wir kämpfen ein bißchen weiter«), aber die Unterschriften fanden kaum auf vier Seiten Platz. Etwa hundert Unterschriften waren es.
    Noch lange Zeit hatten ihn die Soldaten in guter Erinnerung. »Wann endet denn seine Schulung?« fragten sie und wünschten sich, daß Senitschka zu uns ins Regiment käme. Aber er kehrte nicht zurück – er ist, glaube ich, an die Nordfront gekommen.
    22
    Der neunzehnte November ist für mich ein denkwürdiger Tag. Es ist mein Geburtstag. In der Kindheit wurde er mit Torten und Geschenken gefeiert, später durch Trinkereien. Aber so oder so, gefeiert wurde er immer. Sogar im vergangenen Jahr, im Ersatzregiment, haben wir an diesem Tage selbstgebrannten Schnaps getrunken und aus einer großen emaillierten Schüssel rosa Sauermilch mit goldgelber Sahnenschicht gegessen. Auch dieses Mal haben sich Lissagor und Walega etwas ausgedacht.
    Am Abend vorher zwingt mich Walega, in den Baderaum, eine schiefe Hütte ohne Dach am Ufer der Wolga, zu gehen. Gibt mir frische, sogar gebügelte Wäsche und verschwindet dann für den ganzen Tag. Erscheint nur auf einen Augenblick, besorgt, auf der Suche nach jemand, mit geheimnisvollen Paketen unterm Arm. Lissagor lächelt rätselhaft.
    Ich mische mich nicht ein.
    Gegen Abend gehe ich zu Ustinow. Er ruft mich schon den dritten Tag zu sich. Zuerst lädt er mich nur ein, dann befiehlt er, und schließlich: »Zum letztenmal befehle ich Ihnen, zur Vermeidung von Unannehmlichkeiten …« Ich weiß schon im voraus, wovon die Rede sein wird. Ich habe nicht rechtzeitig den Plan der Pionierarbeiten zur Befestigung der Stellungen, die Aufstellung des vorhandenen Pioniergeräts, die Meldung der Verluste und der in der letzten Woche erfolgten Lieferungen sowie die Skizzen der vorgesehenen Beobachtungsstellen hingeschickt. Eine lange und langweilige Lektion steht mir bevor, gewürzt mit historischen Beispielen – Verdun, Port

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