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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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Schluß mit dem Schlendrian. Gleich früh morgens, noch vor dem Frühstück, gehen wir ins Personalamt.«
    »Auch so eine Sache – das Personalamt. Man wird uns in die Reserve stecken, wo wir uns mit Exerzieren und Grußvorschriften beschäftigen müssen, oder noch schlimmer: in ein Ersatzregiment.«
    »Ich lasse mich aber nicht in ein Ersatzregiment schicken.«
    »Du läßt dich nicht? Auch auf eine Schule läßt du dich nicht schicken? Nach Alma-Ata oder nach Frunse? Man sagt, daß jetzt alle Leutnants und Oberleutnants auf eine Militärschule geschickt werden.«
    »Nun, mögen sie. Ich werde keinesfalls gehen.«
    Wir schweigen einige Minuten. Igors Zigarette glimmt.
    »Und was werden wir mit den Jungen machen?«
    »Mit welchen? Mit Walega und Sedych?«
    »Wir müssen sie wohl zur Sammelstelle schicken.«
    »Sie werden auf keine Sammelstelle kommen. Wir werden Fahrzeug und Pferde abliefern, aber Walega und Sedych gebe ich nicht her. Ich bin mit Walega neun Monate im Krieg zusammen gewesen, und wir werden bis zum Ende des Krieges zusammenbleiben, bis einer von uns umkommt.«
    Igor lacht.
    »Spaßig ist er – dein Walega. Gestern hat er sich mit Sedych gezankt, darüber, wie sie die Kartoffeln kochen sollten. Sedych wollte sie gleich in der Schale kochen, aber Walega – nein, auf keinen Fall, der Leutnant – das bist du – pellt nicht gern, er hat lieber geschälte. Zehn Minuten etwa haben sie sich gestritten.«
    »Nun ja, er ist eine richtige Ordonnanz«, sage ich und dreh mich auf die andere Seite. »Schlaf, morgen muß man früh aufstehn.«
    Igor gähnt langanhaltend, spuckt aus und drückt die Zigarette auf dem Erdboden aus.
    Irgendwo in weiter Ferne schießt die Flak. Scheinwerfer strahlen am Himmel umher. Walega seufzt im Schlaf. Er liegt zwei Schritt von mir entfernt zu einem Knäuel zusammengedreht, das Gesicht mit der Hand bedeckt.
    So schläft er immer.
    Mein kleiner, rundschädeliger Walega! Wieviel sind wir beide gemeinsam in diesen Monaten marschiert, wieviel Grütze haben wir gemeinsam aus einem Topf gegessen, wie viele Nächte haben wir, in eine und dieselbe Zeltbahn gewickelt, gemeinsam verbracht! Und du wolltest durchaus nicht meine Ordonnanz werden! Drei Tage waren nötig, dich zu überreden. Du standest da, stiertest vor dich hin und brülltest etwas Unverständliches – kann nicht, bin es nicht gewöhnt. Du schämtest dich eben, von deinen Kameraden fortzugehen. Du warst mit ihnen gemeinsam in der vorderen Linie herumgekrochen, hattest mit ihnen gemeinsam das Leid ausgekostet, und jetzt solltest du plötzlich Ordonnanz eines Offiziers werden, solltest auf ein Druckpöstchen kommen. »Kann ich denn nicht kämpfen, bin ich schlechter als die anderen? …«
    Ich habe mich an dich so sehr gewöhnt, verdammt gewöhnt an dich, an deine großen Ohren. Nein, nicht gewöhnt. Das ist keine Gewohnheit, das ist etwas anderes, viel Tieferes. Ich habe nie darüber nachgedacht. Dazu war einfach keine Zeit.
    Ich hab doch auch früher Freunde gehabt. Viele Freunde. Wir haben gemeinsam gelernt, gearbeitet, Wodka getrunken, über Kunst und andere erhabene Themen diskutiert … Aber genügt das alles? Das Trinken, das Diskutieren, der gleiche Bildungsgrad, gemeinsame Interessen?
    Wadim Kastrizkij, ein kluger, begabter, feiner Bursche. Mit ihm zusammen zu sein war für mich immer sehr interessant, ich habe viel von ihm gelernt. Aber ob er mich, wenn ich verwundet worden wäre, vom Schlachtfeld weggetragen hätte? Früher hätte mich diese Frage nicht interessiert. Jetzt aber interessiert sie mich. Und ich weiß wirklich nicht, ob er mich weggetragen hätte oder nicht. Walega aber, der hätte mich weggetragen, das weiß ich … Oder Sergej Walednizkij. Würde ich mit Sergej auf ein Spähtruppunternehmen gehen? Ich weiß nicht, aber mit Walega – bis ans Ende der Welt.
    Nur im Kriege lernt man die Menschen wirklich kennen, das ist mir jetzt klar. Der Krieg wirkt wie Lackmuspapier, wie ein besonderer Entwickler. Walega kann nur buchstabieren. Beim Dividieren irrt er sich immer, er weiß nicht, wieviel sieben mal acht ist, und wenn man ihn fragt, was Sozialismus oder Heimat bedeutet, so kann er es bestimmt nicht vernünftig erklären, das sind für ihn Begriffe, die mit Worten schwer zu umschreiben sind. Aber für die Heimat – für mich, für Igor, für seine schiefe Hütte irgendwo im Ural, für Stalin, den er nie gesehen hat, der aber für ihn das Symbol alles Guten und Richtigen ist – wird er bis zur letzten

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