Stalingrad
unsere Armee befände sich in Kotluban. Wir fahren nach Kotluban. Keine Spur. Beim Kommandanten erfahren wir, daß ein Major aus der Achtunddreißigsten dagewesen und nach Dubowka gefahren sei. Auf der Station Log treffen wir drei Leutnants aus Dubowka. Die achtunddreißigste Armee sei nicht dort. Alle fahren nach Kletsko-Potschtowaja.
Die Autos fahren nach Kalatsch. Es heißt, schwere Kämpfe sind dort im Gange. Mit der Verpflegung ist es schlecht bestellt. Eine vorüberziehende Einheit hat uns Brot und Konserven gegeben. Walega und Sedych haben einen Sack Hafer aufgetrieben.
Im übrigen … wir fahren nach Stalingrad. Komme, was da wolle!
10
Als wir in Stalingrad ankommen, strahlt die Sonne hinter den Dächern hervor, und die Häuser werfen lange, kühle Schatten. Der Wagen klappert fröhlich auf dem Kopfsteinpflaster, zerschrammte Straßenbahnwagen rasseln. Schlangen plattnasiger »Studebaker«, mit langen Kästen beladen – Granaten für die »Katjuschas«. In den kahlen, durch Luftschutzgräben verunstalteten Anlagen Flak mit nach oben gerichteten Rohren. Auf dem Markt Berge von Tomaten und Gurken, riesige Flaschen mit goldgelber gekochter Milch. Es wimmelt von Zivilanzügen, Mützen, sogar Schlipsen. Ich habe das alles schon lange nicht mehr gesehen. Die Frauen malen sich wie früher die Lippen an.
Durch ein staubiges Schaufenster sieht man, wie ein Friseur im weißen Mantel jemandem das Kinn einseift. Im Kino läuft »Anton Iwanowitsch ärgert sich«. Die Vorstellungen beginnen um 12, um 2, um 4 und um 6 Uhr. Aus dem schwarzen Rachen des Lautsprechers, der auf einem Straßenbahnmast angebracht ist, erzählt jemand sehr ergreifend von Wanjka Shukow, einem neunjährigen Knaben, der in der Weihnachtsnacht an seinen Großvater ins Dorf einen Brief schreibt.
Und über all dem ein blauer Himmel. Und Staub, Staub … Und Akazien und Holzhäuschen mit geschnitzten Wetterfähnchen und: »Achtung, bissige Hunde!« Daneben große Steinhäuser mit vollbrüstigen Frauengestalten als Karyatiden an den Fassaden. »Büro der Konsumgenossenschaften – Vertriebsorganisation«, »Gummischuhreparaturwerkstatt«, »Reparatur von Spirituskochern«, »Staatsanwalt des Molotow-Bezirks« …
Die Straße biegt nach rechts ab, hinunter zur Brücke. Die Brücke ist breit, mit Laternen flankiert. Unter der Brücke ein nicht existierendes Flüßchen, das den großartigen Namen »Zariza« trägt. Man sieht ein Stückchen der Wolga-Anlegestellen, Schleppkähne, endlose Flöße. Wir biegen nochmals nach rechts und fahren bergauf, zur Schwester von Igors früherem Kompaniechef: »Reines Gold und keine Frau, ihr werdet es selbst sehen.«
Wir halten vor einem einstöckigen Steinhaus mit abbröckelndem Putz und mit Fenstern, die mit Papierstreifen kreuz und quer verklebt sind. Eine weiße, großäugige Katze sitzt auf den Stufen und blickt uns unfreundlich an.
Igor verschwindet im Toreingang. Nach einer Minute erscheint er wieder, fröhlich, ohne Feldmütze, in Hemdsärmeln.
»Sedych, hierher! Führ das Gespann herein!« Mir flüstert er ins Ohr: »Alles in Ordnung. Wir kommen gerade zum Frühstück zurecht.«
Ein kleiner, gemütlicher Hof. Eine Glasveranda mit langgezogenen Schnüren, an denen sich etwas Grünes rankt. Ein Faß unter der Regenrinne. Trocknende Wäsche. Eine Gans, die mit einem Fuß an das Treppengeländer angebunden ist. Und wieder eine Katze, diesmal eine schwarze, die ihre Pfote leckt.
Nachher sitzen wir auf der Veranda an einem gedeckten Tisch und essen eine unwahrscheinlich wohlschmeckende Bohnensuppe. Wir sind unser vier, bekommen aber immer wieder nachgefüllt und nachgefüllt. Marja Kusjminitschna hat von der Küchenarbeit schwarze, rissige Hände, aber ihre Schürze ist schneeweiß, und der Spirituskocher sowie die Töpfe zum Marmeladekochen, die an der Wand hängen, werden offenbar täglich mit Kreide blank geputzt. Auf dem Scheitel trägt Marja Kusjminitschna einen grauen Dutt und auf der Nase eine Brille, deren Steg mit Watte umwickelt ist.
Nach der Suppe trinken wir Tee und erfahren, daß Nikolai Nikolajewitsch, ihr Mann, erst zu Mittag kommen wird – er arbeitet in einem Autolager – und daß ihr Bruder noch immer im Ersatzregiment ist und daß, wenn wir uns nach der Fahrt gründlich waschen wollen, sich im Hof eine Dusche befände. Man müsse nur die Tonne mit Wasser füllen. Auch wolle sie unsere Wäsche noch heute waschen, das mache ihr gar nichts aus.
Wir trinken jeder drei Glas Tee, lassen
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