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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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kommt er – ein kleiner, galliger Mann mit tränenden Augen. Wieder das übliche: Woher? Wer? Was? … Diensteinteilung: von neun bis ein Uhr Dienst, dann Mittag, von drei bis acht Uhr wieder Dienst. Wir schreiben uns in die Verpflegungsliste einer Pontonierkompanie ein und gehen dann nach Hause.
    Am Abend schlendern wir mit Ljussja die Uferstraße entlang. Der Himmel ist rot, unheilverkündend. Über dem Horizont – Wolken, dichtem schwarzem Rauch ähnlich. Die Wolga kräuselt sich vom Wind und ist ohne jeden Glanz. Und Flöße, Flöße ohne Ende. Schleppdampfer, mit Grün getarnt, als ob es Pfingsten wäre. Am anderen Ufer Häuschen, eine kleine Kirche, in jedem Hof die Schwingbäume der Ziehbrunnen.
    Wir gehen Arm in Arm, bleiben manchmal an der Steinbrüstung stehen, stützen uns auf und blicken in die Ferne. Ljussja spricht zu mir – ich glaube über Block oder Jessenin –, fragt mich etwas, und ich antworte, und mir ist nicht wohl; ich habe keine Lust zu sprechen, weder über Block noch über Jessenin.
    Dies alles hat mich einst interessiert und erregt, aber jetzt ist alles weit, weit entfernt. Architektur, Malerei, Literatur … Ich habe während des Krieges kein einziges Buch gelesen. Und ich mag auch nicht, es reizt mich nicht. Das alles später, später …
    Morgen wieder diese Reserve; zwanzigmal: »Nimm das MG auseinander und setze es zusammen«; und übermorgen und überübermorgen das gleiche. Und wieder wird der gallige Major Sabawnikow mit den tränenden Augen uns sagen, daß wir abwarten müssen, daß man uns an die Front schicken wird, wenn der Befehl kommt, und daß es eigens dafür Menschen gibt, die das alles planen und bedenken und – weiter, weiter, weiter …
    Wir gehen am Denkmal Cholsunows, eines Helden der Sowjetunion, vorbei. Zu meiner Schande weiß ich gar nicht, was er eigentlich geleistet hat. Aus Bronze gegossen steht er da, in seiner Lederjacke, sicher, fest. Wir lesen die Aufschrift und betrachten die Reliefs auf dem Sockel.
    Jetzt kommen wir auf den Hauptplatz. Eine abgeschossene graue Heinkel-Maschine mit schwarzen, sorgfältig ausgeführten Kreuzen und einem mittelalterlichen Löwen auf einem heraldischen Schild steht hier. Sie sieht aus wie ein verwundeter böser Vogel, der abgestürzt ist und sich nun mit seinen Krallen ins Erdreich verkrampft hat. Jungen klettern auf die zerschmetterten Flügel, kriechen in die Kabinen und fingern an den Geräten herum. Die Erwachsenen betrachten schweigend und ingrimmig hinter der gespannten Schnur die zerschmetterten Motoren und die herausragenden Maschinengewehre.
    »Diese Schufte, alles gepanzert.«
    »Ja, Metall sparen die nicht.«
    »Und mach mit Holzflugzeugen etwas gegen sie.«
    »Wie viele Maschinengewehre hat so eine Heinkel?«
    »Zwei – und zwei Kanonen.«
    »Auch Bomben?«
    »Auch Bomben – zwei Tonnen.«
    »Zwei Tonnen?«
    Ljussja zupft mich am Ärmel: »Kommen Sie, ich hab schon genug gesehen. Wir wollen zum Mamai-Hügel fahren.«
    »Wohin?«
    »Zum Mamai-Hügel. Dort oben sieht man Stalingrad wie auf der Handfläche vor sich liegen. Und die Wolga auch. Und man kann noch weit, weit über die Wolga hinwegsehen. Dort ist es schön, wirklich.«
    Wir fahren zum Mamai-Hügel.
    Er ist flach und wenig verlockend. Junge Bäumchen sind in Reihen gepflanzt. Ljussja sagt, man beabsichtige hier einen Park für Kultur und Erholung einzurichten. Es ist möglich, daß es hier einmal schön sein wird, aber vorläufig gibt es wenig Anziehendes. Ein paar Wassertürme, trockenes Gras, vereinzelte stachelige Sträucher.
    Aber die Aussicht ist wirklich schön.
    Die große, weit ausgedehnte Stadt hat sich eng an den Fluß geschmiegt. Eine Ansammlung von neuen Steinhäusern, die von weitem sehr schön wirken. Wie eine kleine weiße Insel zeichnen sie sich ab im Meer der sie rings umgebenden hölzernen Bauten, die, schief, halbblind, längs der Schluchten kleben, zum Fluß hinunter- und wieder hinaufkriechen, sich zwischen die Eisenbetonbauten der Fabriken schieben. Die Fabriken sind groß, verqualmt, Kräne poltern und Lokomotivsirenen heulen. »Roter Oktober«, »Barrikaden« und weit, ganz am Horizont, das Traktorenwerk … Dort sind die Siedlungen, weiße symmetrische Gebäude, kleine Cottages mit blitzenden Eternitdächern.
    Und hinter alledem die Wolga, die ruhige, glatte, breite und friedliche Wolga. Am anderen Ufer krauses Grün, aus dem kleine Häuser hervorlugen, und eine weite, violette Ferne. Eine Rakete, von irgendeinem Dummkopf in

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