Stalingrad
meine Hand fest, um anzurauchen.
»Nach vorn.«
Er wiegt den Kopf und macht lange Züge.
»Tja … dort ist es nicht lustig … Was soll man schon sagen …« und geht.
Verwundete gehen vorbei. Einzeln und zu zweien. Grau, verstaubt, mit gleichgültigen, müden Gesichtern. Einer setzt sich zu uns und fragt, ob wir was zu trinken hätten. Walega gibt ihm Milch aus der Feldflasche. Er trinkt lange und langsam, bekleckert sich dabei mit Milch. Er hat einen Brustschuß, und durch die zerrissene Uniform sieht man graue, schmutzige, mit Blut beschmierte Verbände auf der knochigen, schwarzbehaarten Brust.
»Wie ist es dort vorn?«
»Dreckig«, antwortet er gleichgültig und wischt sich mühsam die trockenen Lippen mit seiner schmutzigen, blutbeschmierten Hand ab. In seinen Augen, die grau sind wie er selbst, ist nichts außer einer schrecklichen, tödlichen Müdigkeit.
»Machen sie euch viel zu schaffen?«
»Ach, was soll man sagen, man kann den Kopf nicht heben.«
Er will aufstehen, fängt aber an zu husten, und auf seinen Lippen erscheint rosa Schaum. Er setzt sich wieder hin, atmet schwer. Im Halse oder in der Brust gluckst etwas.
»Verdammt wenig Leute … das ist das schlimmste …«
»Und wer ist in der Stadt? Der Fritz oder wir?«
»Wer weiß es? Was heißt da noch Stadt? … Alles brennt. Bombardement vom Morgen bis jetzt … Gib mal noch einen Schluck, mein Lieber!«
Er preßt müde, beinahe widerwillig, die Lippen an den Hals der Feldflasche, und aus den Mundwinkeln läuft ein dünner Milchstrahl herab, rosa von Blut. Dann steht er auf und geht weiter. Mit Mühe schleift er die Füße und stützt sich auf einen krummen, knorrigen Stock.
Dem Verkehrsposten nähern sich drei Reiter.
Ich schicke Walega hin, um festzustellen, ob sie nicht aus der von uns gesuchten Division sind. Er geht zu ihnen und fragt etwas, wobei er sich mit der Hand am Zügel festhält. Dann kehrt er wieder zurück.
»Sie sagen, daß die Hundertvierundachtzigste querfeldein zur Übergangsstelle marschiert ist. Sie sind nicht von dieser Division, haben aber Soldaten von ihr gesehen.«
Die Reiter traben fort. Eine Staubwolke begleitet sie.
»Nun denn, ich werde jetzt gehen«, sagt Igor.
»Nun, dann geh«, sage ich und strecke ihm die Hand hin.
Eigentlich müßte man noch etwas sagen, aber es kommt nichts heraus.
»Ich sage dir aber nicht Lebewohl«, sagt Igor.
»Ich dir auch nicht.«
Wir schütteln einander die Hand »Bleib gesund, Walega. Gib gut acht auf den Leutnant!«
»Selbstverständlich … Was denn sonst?«
»Nun, ich gehe.«
»Auf Wiedersehen, Igorek!«
»Tja … ich habe noch dein Taschenmesser.«
»Wirklich?«
»Hatte es gestern an mich genommen, als wir Brot schnitten.« Er sucht in den Taschen. »Hier ist es, war unters Futter gerutscht.«
Igor reicht mir das Messer. Ein Beutestück Walegas – ein herrliches Solinger Messer mit zwei Klingen, Korkenzieher, Ahle, einem Schraubenzieher und noch einer ganzen Menge unbekannter Werkzeuge.
»Nun, das wäre alles. Bleib gesund!«
»Bleib gesund!«
Er geht weg mit seinem üblichen ungezwungenen, lässigen Gang, die Feldmütze auf den Hinterkopf geschoben, Hände in den Taschen.
Werde ich ihn je wiedersehen?
18
An der Überfahrt ist es schwer wie immer, sich zurechtzufinden. Pferde, Wagen, Kanonen mit Protzen, Autos, die in der Dunkelheit nach hinten fahren. Und Menschen, Menschen, viele, viele Menschen, die schimpfend aneinandergeraten. Jemand hat einen anderen angefahren. Kisten sind vergessen worden. Ein gewisser Stezenko wird gesucht. Man wartet auf den Schleppdampfer. Schimpft auf ihn. Er hätte schon längst da sein sollen und ist immer noch nicht hier …
Zwei Divisionen, die hundertvierundachtzigste und noch eine, ich glaube, die neunundzwanzigste, werden gemeinsam verladen.
Und in diesem tollen Durcheinander soll man einen Divisionsingenieur finden oder den Divisionskommandeur oder den Stabschef, ihm das Paket abliefern und weitere Befehle abwarten. Wahrscheinlich wird es gar keine weiteren Befehle geben; es weiß ohnehin keiner, wo ihm der Kopf steht, alle Kanonen muß man aufladen und Munition und Pferde, und Leute darf man keine verlieren, überhaupt, zum Teufel noch mal, was kommen Sie jetzt an, sehen Sie nicht, was da vor sich geht?
Ich finde einen Ingenieur, aber nicht den, den ich suche, einen Regimentskommandeur, aber auch nicht den, den ich brauche – sondern einen von den Neunundzwanzigern.
Jemand zupft mich am Ärmel.
»Hör mal,
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