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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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schon anfängt, hell zu werden. Die undurchdringliche Masse von etwas Unbestimmtem hinter uns verwandelt sich in das durchsichtige Spitzengewebe eines Espenhaines. Wir stehen eng zusammengepfercht. Jemand atmet mir direkt ins Gesicht. Er riecht nach Knoblauch. Dumpf stampft unter den Füßen die Maschine. Einer knabbert Sonnenblumenkerne und spuckt geräuschvoll aus. Walega lehnt sich auf seinen Mantel, der über die Reling geworfen ist, und blickt auf die brennende Stadt.
    »Stalingrad ist trotz allem eine große Stadt«, sagt jemand hinter meinem Rücken, »wie Moskau.«
    »Nicht groß, sondern lang«, berichtigt eine junge, knabenhafte Stimme. »Fünfzig Kilometer lang. Ich war vor dem Kriege da.«
    »Fünfzig Kilometer?«
    »Haargenau. Von Sarepta bis zum Traktorenwerk.«
    »Oho!«
    »Was, oho?«
    »Viele Truppen sind nötig, um das Werk zu halten. Mindestens zehn Divisionen, vielleicht auch fünfzehn.«
    »Und denkst du, daß hier weniger sind? Jede Nacht setzen welche über.«
    Der Schleppdampfer umfährt eine spitze, in der Dunkelheit beinahe unsichtbare Landzunge. Über uns fliegt pfeifend eine Granate hin und schlägt hinter uns ins Wasser.
    »Gefällt dem Fritz nicht, daß wir fahren. Er will uns in die Wolga stoßen.«
    Die junge, knabenhafte Stimme lacht.
    »Was soll er denn sonst wollen? Natürlich reinstoßen … ›Ruß bul, bul‹.« Und er lacht wieder.
    »Der Fritz will so manches«, mischt sich ein Dritter ein, nach der Stimme zu urteilen, ein Älterer. »Weiter können wir auf keinen Fall zurückgehen. Wir sind schon bis zum äußersten Punkt zurückgewichen, bis an den Rand der Erde … Wohin denn noch weiter?«
    Man hört, wie jemand einem andern auf den Mantel klopft.
    »Richtig, Vater. Das ist so unsere Art, Seemannsart. Wir wollen um keinen Preis selbst baden gehen. Das Wasser ist gar zu kalt … Hab ich recht?«
    Alle lachen.
    Ich bemühe mich, den Kopf zu wenden. Das ist aber sehr schwer. Ich bin von allen Seiten so eingeengt. Ich drehe die Augen seitwärts und sehe nur weiße Flecke, Gesichter und ein Ohr. Wir nähern uns dem Ufer.
    19
    Der Schleppdampfer kann wieder nicht direkt am Ufer anlegen. Wir springen ins kalte, trübe Wasser.
    Kästen werden ans Ufer gezogen. Sie bedecken das ganze Ufer. Die Füße verwickeln sich in Ketten und Taue. Auf den Kästen und auf der bloßen Erde – Verwundete, schweigsam und ingrimmig, dicht aneinandergeschmiegt.
    Das Ufer ist flach und sandig. In der Ferne ein hoher, beinahe senkrechter Abhang, und über alldem ein roter, rauchbedeckter Himmel. Ganz in der Nähe wird geschossen. Man hat den Eindruck, als ob die Schüsse direkt hinter unserem Rücken abgefeuert würden. Es wird kühl, und ich ziehe meinen Mantel an.
    Der Bataillonskommandeur – sein Name ist Klischenzew – schimpft auf jemand, der die Kanone nicht richtig gewendet hat.
    »Was, zum Teufel, stellst du sie mit der Lafette nach vorn? Ist dein Gehirnkasten nicht in Ordnung, du Schafskopf?«
    Die Soldaten waten durchs Wasser, mit Maschinengewehren, Granatwerfern und Granaten, die ihnen auf der Brust und auf dem Rücken hin und her baumeln. Sie sammeln sich zu Grüppchen am Ufer, rauchen natürlich. Klischenzew kommt zu mir gelaufen, er ist schon ganz heiser.
    »Nimm die vierte und fünfte – und los! Ich werde die Kanonen abladen und gleich hinter dir herkommen. Schick mir nur einen Melder, damit ich nicht umsonst hin und her irre. Ich habe einen, er heißt Sidorko, der findet alles. Frag bei Farber, dem Chef der fünften Kompanie.« Er zieht mich am Mantelsaum zu sich heran und flüstert mir ins Ohr: »Man sagt, daß von jener Division nichts übriggeblieben sei … Versuche, unsere Spähtrupps zu finden. Sie sind dort irgendwo … Laß dich nicht in ein Gefecht ein ohne mich …« Er drückt mir eine Feldflasche in die Hand: »Hier, stärk dich für den Weg.«
    Der Wodka brennt angenehm im Hals und läuft als heißer Strahl ins Innere.
    Die Offiziere sammeln ihre Mannschaften. Einer, ein Langbeiniger, leicht Gebückter, trägt einen kurzen, bis zum Knie reichenden Mantel und eine Brille. Sein Name ist Farber. Anscheinend Intellektueller. – »Sehen Sie, an und für sich neige ich zum Denken …« Der andere – Petrow – ist ein Kleiner, Dünner, Magerer, noch ganz jungenhaft. Mich freut das nicht sehr.
    Wir gehen längs des Ufers stadtwärts. Die Füße versinken im Sand. Manchmal hocken wir uns hin, wenn die Granaten vorbeisausen. Die Soldaten gehen schweigend, bewegen mit Mühe

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