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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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Freund, hast du nicht eine Taschenlampe?« »Hab ich.«
    »Leuchte doch mal, mein Lieber. Ich hab mir schon die Hacken abgelaufen. Man hat mir zwar eine Karte gegeben, aber in dieser ägyptischen Finsternis kann man ja nichts sehen …«
    Ich erkenne nur eine massige Gestalt in einer Jacke, mit einer Maschinenpistole, die auf der Brust hin und her baumelt.
    »Komm, wir kriechen unter das Boot … zwei Minuten nur … Ehrenwort.«
    Unter dem Boot ist es eng und riecht nach verfaultem Holz. Ich knipse die Taschenlampe an. Sie leuchtet trübe – die Batterie geht zu Ende. Der Massige hat – so stellt sich heraus – ein grobes, schweres Gesicht mit weit auseinanderstehenden Augen und fleischigen Lippen. Auf dem Kragenspiegel hat er das Rangabzeichen eines Hauptmanns. Mit Mühe zieht er die Karte aus der Hülle, die von Papieren förmlich platzt und mit einem Gummi umspannt ist.
    »Hier finde sich einer durch.« Er zeigt mit dem schmutzigen Fingernagel auf ein rotes ungleichmäßiges Dreieck auf der Karte. »Das nennt sich Karte! Ein weißes Quadrat an Stelle einer Fabrik. Wie kann man daraus klug werden?« Und er schimpft lange und ausgiebig.
    »Eine Division soll abgelöst werden. Es hieß, jemand würde uns an der Überfahrt erwarten. Ja, Kuchen! Keine Menschenseele. Und nun such dieses Dreieck in der Stadt … ihren Divisionsgefechtsstand. Kein Richtungspunkt, nichts!«
    Ich frage ihn, aus welcher Division er sei. Es stellt sich heraus, daß er Bataillonskommandeur des 1147. Regiments der 184. Division ist.
    »Ist bei euch heute nicht der Ingenieur gefallen?«
    »Ja, bei uns. Zigejkin. Weshalb fragst du?«
    »Ich soll seine Stelle übernehmen.«
    »Wirklich?« Der Grobgesichtige freut sich sogar. »Das ist gut. Du wirst mit uns fahren. Ich bin ganz allein geblieben. Der Kommissar liegt im Lazarett, der Stabschef ist nachtblind …«
    Wir kriechen unter dem Boot hervor.
    »Wart nur einen Augenblick. Ich werde mich nach den Pferden umsehen. Du kennst doch diese Spieße …«
    Er verschwindet, als ob er sich in der Menge und im Geschrei aufgelöst hätte. Ich suche Walega. Er hat sich neben einigen Kisten eingerichtet und schläft friedlich, die Beine angezogen, damit man ihm nicht auf die Füße tritt. Er hat eine erstaunliche Fähigkeit, in jeder Umgebung zu schlafen. Ich setze mich neben ihn. Vom Fluß zieht eine leichte, beruhigende Kühle herauf. Es riecht nach Fisch und Naphtha.
    Neben mir stampfen Pferde und klirren mit ihrem Geschirr.
    Irgendwo, ganz weit weg, sucht man noch immer Stezenko. Die Stadt brennt. Nicht bloß die Stadt, sondern das Ufer in seiner ganzen Länge, so weit das Auge reicht. Das kann man keine Feuersbrunst nennen, das ist mehr. Wahrscheinlich brennt die Taiga so: wochenlang, monatelang, in einer Ausdehnung von Dutzenden, von Hunderten Kilometern.
    Der Himmel ist purpurrot, mit geballten Rauchschwaden bedeckt. Die dunkle Silhouette der brennenden Stadt sieht aus, als wäre sie mit einer Laubsäge ausgesägt. Schwarz und rot. Andere Farben gibt’s hier nicht. Eine schwarze Stadt und ein roter Himmel. Auch die Wolga ist rot – »wie Blut«, zuckt es mir durch den Kopf.
    Flammen sind kaum zu sehen. Nur an einer Stelle, stromabwärts, bemerkt man kleine, hüpfende Zungen. Und uns gegenüber, wie aus Papier, zerdrückte Zylinder der Ölbehälter, zusammengefallen, zerdrückt durch das Gas. Aus
    ihnen schlagen Flammen hervor – mächtige Protuberanzen, die sich losreißen und in den schweren, langsam sich bildenden, phantastisch aussehenden grauroten Rauchwolken verlieren.
    In meiner Kindheit pflegte ich gern ein altes englisches Journal aus dem Kriegsjahr 1914 anzusehen. Es hatte weder Anfang noch Ende, dafür aber erstaunliche Bilder, große, ganzseitige: »englische Tommies« in Schützengräben, Sturmangriffe, Seeschlachten mit schäumenden Wellen und Torpedobooten, die einander rammten, komische, schwebenden Regalen ähnelnde »Farmans«, »Tauben‹ und »Blériots«.
    Es war schwer, sich loszureißen.
    Aber am allerschrecklichsten war das große, schauerlichdüstere Bild der brennenden Stadt Löwen. Hier waren Feuerschein, Rauchballen, die wie Watte aussahen, flüchtende Menschen, zerstörte Häuser und Scheinwerferkegel am unheildräuenden Himmel … Mit einem Wort, es war dermaßen schrecklich und faszinierend, daß ich keine Kraft hatte, diese Seite umzuwenden. Ich habe unzählige Male dieses Bild abgezeichnet, mit Buntstiften, Farben, Kreide ausgemalt und dann an den Wänden

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