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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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er ist! Und hinten tief ausgehöhlt, und der Kragen ist so weit …
    Genauso hat er wahrscheinlich noch unlängst vor der Wandtafel gestanden, hat mit seinen guten blauen Augen gezwinkert, ohne zu wissen, was er dem Lehrer antworten soll.
    »Warum hat das andere Maschinengewehr nicht funktioniert? Meines Erachtens haben Sie dafür zu sorgen.«
    Verlegen schlägt er seine blauen Augen nieder.
    »Ich werde gleich hingehen und mich erkundigen, Genosse Leutnant …«
    Er stützt sich auf den Maschinengewehrlauf und steht auf; auch seine Hände sind dünn, kindlich, mit Sommersprossen.
    »Mir scheint …«
    Seine Augen werden plötzlich weit, als ob sie etwas ungewöhnlich Interessantes erblickt hätten, und er sackt seitwärts auf den Boden.
    Wir haben den Schuß nicht einmal gehört. Die Kugel hat die Stirn genau zwischen den Augenbrauen durchbohrt.
    Man schleppt ihn weg. Hilflos schleifen die Beine am Boden – dünne, in weiten, schlotternden Stiefeln. Am Maschinengewehr sitzt schon ein anderer. Er hat einen dicken, roten Hals. Zum Kompanieführer ernenne ich den politischen Leiter. Ich gehe zu dem weißen Häuschen.
    Die Deutschen schweigen. Wahrscheinlich bereiten sie sich auf den nächsten Angriff vor.
    Den Laufgraben entlang schleift man die Toten. Sie hindern jetzt die Lebenden. Man legt sie in den Seitengraben. Zwei Soldaten in gebückter Haltung tragen jemanden. Ich mache Platz. Weiße, glatte Arme, mit braungebrannten Händen wie Handschuhe, schleifen am Boden. Das Gesicht ist nicht zu sehen, es ist mit Blut bedeckt. Der Kopf baumelt hin und her. Auf dem Schädel ist ein weißer Kreis von der Feldmütze. Ich erkenne den Panzerjäger mit dem Schnurrbärtchen. Man legt ihn auch in den Graben, auf jemanden mit blutbeschmierten Hosen und Wickelgamaschen, aus denen ein Aluminiumlöffel hervorguckt.
    Es gelingt mir nicht, bis zum weißen Häuschen hinzukommen. Die Deutschen greifen wieder an. Wir schlagen sie zurück … Dann wieder …
    So dauert es bis zum Mittag. Zwanzig, dreißig Minuten Ruhe – eine Zigarette, Auffüllen der Patronenmagazine, ein Stück Brot in den Mund – und wieder graue Gestalten, Geschrei, Geknatter, Wirrwarr …
    Einmal werfen die Heinkel Bomben. Sie fliegen so hoch, daß wir sie nicht einmal sehen. Aber die Bomben fallen auf die Deutschen.
    Die Soldaten lachen.
    Sidorko ist noch immer nicht da. Auch die beiden anderen, später Abgeschickten sind nicht da. Es ist möglich, daß sie von einem Luftangriff überrascht worden sind. In der Luft hört nicht eine Minute das Dröhnen der Motoren auf. Vom Turm aus kann man gut sehen, wie eine weiße Wolke sich über das Ufer ausbreitet.
    Nach dem Mittag fängt unsere Artillerie an zu schießen. Sie nimmt den Damm unter Feuer. Einige verirrte Geschosse fallen in unsere Gräben. Die Deutschen wollen sich nicht beruhigen. Die Panzer aber kommen nicht durch. Der mit dem Kreuz ist im Eisen steckengeblieben – er ist beschädigt. Die Granatwerfer lassen uns nicht in Ruhe. Wir haben viele Tote und Verwundete. Die »Leichten« schicken wir ans Ufer, die »Schweren« tragen wir in den Keller des Häuschens, der geräumig und mit Eisenbeton überdeckt ist.
    Gegen neun Uhr geht den Deutschen die Puste aus. Um zehn Uhr wird alles still. Nur selten knattern noch die Maschinengewehre.
    20
    Der Keller ist voller Rauch, nicht zum Aushalten. Der Rauch legt sich in Schwaden. Der Docht in einem Tellerchen qualmt. Die Verwundeten, mit denen der Keller vollgepfropft ist, bitten um Wasser. Aber es gibt keins. Man muß es von der Wolga herbringen, und unterwegs wird es ausgetrunken.
    Walega gibt mir ein Stück Brot und Speck. Ich esse ohne jeden Appetit.
    Tschumak kommt herein, im zerrissenen Matrosenhemd, zerzaust, und setzt sich auf den Tisch. Mich sieht er nicht an. Er streift sein Matrosenhemd über den Kopf. Auf seiner muskulösen, braungebrannten Brust ist ein blauer Adler mit einer Frau in den Krallen eintätowiert. Unter der linken Brustwarze – ein von einem Dolch durchstoßenes Herz, auf der Schulter – ein Schädel und Knochen. Unterhalb des Ellbogens hat er ein kleines durchgehendes Loch, beinahe ohne Blut. Anscheinend ist der Knochen heil, das Gelenk bewegt sich. Die Sanitäterin Marusja, mit schrecklich roten Paus backen und zwei gelben, hinten zusammengebundenen Zöpfen, verbindet die Wunde. Die Aufklärer haben heute zwei Panzer abgeschossen. Einen Tschumak, den andern jener Pickelige, dessentwegen wir den Zusammenstoß hatten. Ich frage ihn, warum

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