Stalingrad
gehen hin. Tatsächlich hat man von hier aus gute Sicht. Die Deutschen sitzen hinter dem Damm. Manchmal tauchen ihre Helme auf.
Ich hocke mich nieder und schreibe eine Meldung. Die vierte und fünfte Kompanie sowie der Zug des Infanterie-Spähtrupps haben die Verteidigungsstellungen am Westrande des Werkes »Metis« bezogen. Soundso viele Leute, soundso viel Munition. Die letzte Ziffer verringere ich ein wenig, obwohl heute auf Heranschaffen von Munition ohnehin nicht zu rechnen ist.
Sidorko, derselbe, den mir Klischenzew empfohlen hat, flink, mit schrägstehenden Augen wie bei einem Chinesen, kann gerade noch die Meldung in die Feldmütze stecken, als die Deutschen ihren Angriff beginnen.
Von irgendwoher tauchen Panzer auf, sechs Stück. Sie kriechen von rechts heran, hinter dem Damm hervor. Dort scheint eine Brücke zu sein, von uns aus nicht sichtbar. Und wir haben nur vier Panzerbüchsen und etwa zwei Dutzend Handgranaten. Wo ist die Kanone geblieben? Ich habe sie ganz und gar vergessen. Sollten sie wieder zurückgegangen sein? Unsere ganze Hoffnung ist jetzt der Eisenhaufen, vielleicht können die Panzer ihn nicht überrollen …
Mein Nachbar ist ein braungebrannter Panzerjäger mit blondem, gezwirbeltem Schnurrbart, der ihm ein schneidiges Aussehen verleiht. Ihm ist anscheinend heiß. Nacheinander wirft er die warme Jacke, die Feldbluse und das Hemd ab; er bleibt nackt, und sein unwahrscheinlich weißer, glatter Rücken leuchtet.
Im Laufgraben ist es eng und unbequem. Fortwährend kriecht jemand über einen hinweg, stößt einen mit den Knien, flucht.
Die Panzer rollen gerade auf uns zu.
Es ist schlecht, daß kein Telefon da ist. So läßt sich schwer feststellen, wie die Dinge stehen.
Die Panzer sind vor dem Eisenhaufen stehengeblieben und eröffnen das Feuer. Wahrscheinlich Stahlbarren ohne Sprengladung, denn man hört keine Explosionen. Von rechts her ertönt Tschumaks Stimme, scharf und kehlig. Er ruft einem gewissen Wanjuschka zu, er möge ihm Panzerabwehrgranaten holen.
»Im Keller … in der Ecke … Wo die Teekanne steht …« Ein Panzer überrollt dennoch das Eisen, klirrt mit den Ketten. Von einer Seite auf die andere watschelnd, kriecht er direkt auf uns zu. Das widerliche schwarze Kreuz ist gut sichtbar. Der halbnackte Panzerjäger zielt, die Beine breit gespreizt, das Hinterteil gegen die Grubenwand gedrückt. Die Feldmütze ist ihm heruntergefallen, und auf seinem glattrasierten Kopf sieht man, weiß wie seinen Rücken, einen Kreis, der nicht braungebrannt ist.
Trifft er oder trifft er nicht?
Das Kreuz kommt immer näher …
Jemand schreit mir ins Ohr. Ich kann nichts verstehen. »Was ist los?«
»Die Deutschen umgehen uns von links. Ihre Infanterie ist links von der Lokomotive durchgestoßen …«
»Warum schweigen die Maschinengewehre? Dort sind doch zwei.«
Ich laufe den Graben entlang. Am Maschinengewehr liegt Petrow und noch jemand. Eine Störung. Der Gurt kommt nicht durch.
»Warum schweigt das zweite Maschinengewehr?«
Die blauen Kinderaugen sind dem Weinen nahe.
»Ehrenwort, ich weiß nicht … Vor fünf Minuten …«
»Handgranaten! Gib mir Handgranaten!«
Die Kugeln pfeifen direkt über unseren Köpfen.
Ich werfe eine Handgranate nach der andern – deutsche mit langen Griffen. Ich ziehe sie ab und werfe sie über die Brustwehr. Die Deutschen sind schon an den Gräben. Schreien …
Warum schießt das Maschinengewehr nicht?
»A-a-a-a-a-a!«
Etwas fällt auf mich. Ich springe beiseite und schlage mit voller Wucht mit der Handgranate zu. Anderes habe ich nicht zur Hand. Etwas Schweres sinkt auf den Boden des Laufgrabens nieder. Ich werfe noch vier Handgranaten, die letzten – weiter gibt es keine. »Wo ist die Maschinenpistole, zum Teufel?«
Ich will die Pistole aus der Tasche ziehen, aber der Riemen hat sich festgehakt. Ich kriege sie nicht heraus … Teufel!
Und auf einmal … Stille!
Zu meinen Füßen liegt jemand in einem grauen Mantel, das Gesicht in die Ecke des Laufgrabens gepreßt. Vor den Gräben ist niemand. Haben wir sie wirklich zurückgeschlagen?
Ich laufe durch den Graben zurück. Die Soldaten knacken mit den Verschlüssen. Petrow sitzt an seinem Maschinengewehr.
»Alles in Ordnung, Genosse Leutnant. Funktioniert!« Die blauen Augen lachen fröhlich wie Kinderaugen.
»Haben Sie gesehen, wie wir sie abgeschnitten haben? Auf einmal sind sie getürmt.«
Er wendet sich zum Maschinengewehr und schießt eine Salve. Sein dünner Hals zittert. Wie dünn
Weitere Kostenlose Bücher