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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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Wladiwostok. Mein Vater war Schauermann im Hafen.«
    »Nun?«
    Karnauchow lächelt nur und besieht seine Nägel.
    »Am Schlafittchen haben sie mich genommen und nach Hause geschleppt, wie einen jungen Hund. Ungefähr fünf Tage mußte ich dann das Bett hüten. Vaters Hände – stellen Sie sich vor … Er konnte Silberrubel zu Röllchen zusammenbiegen …«
    Er lacht wieder.
    Später taucht auf einmal ein Grammophon auf, ein altes, klirrendes, und wir erraten mehr, als daß wir genießen: die Dawydowa, Koslowskij und das Duett aus »Der Saporoger an der Donau«. Wir haben nur eine Nadel und schleifen sie an einem zerbrochenen Teller.
    »Nun, das ist alles, was ich habe«, sagt Karnauchow und kratzt sich am Hinterkopf. »Soll ich Ihnen vielleicht noch die vorderste Linie zeigen? … Nur an die Gräben selbst kommt man jetzt nicht ran, wir werden sie von hier aus, von den Trümmern, ansehen.«
    Wir richten uns an einer niedrigen Steinwand ein. Wahrscheinlich ist hier einmal ein Zimmer gewesen. Ein eisernes Bett, vom Feuer verbogen, eine Nähmaschine, ein Fleischwolf …
    Vor uns eine Schlucht. Sie fängt links von uns an und zieht sich im Bogen aufwärts zur Anhöhe hin. Uns gegenüber eine zerschossene Kanone. Das Rohr ist zerfetzt, und die Ränder sind wie bei einer phantastischen Blume zu Locken gedreht. Das gibt der Kanone ein erstauntes, verdutztes Aussehen. Daneben eine zu Splittern zerschossene Protze.
    An der gegenüberliegenden Seite der Schlucht sind die deutschen Gräben, ganz nah, bloß ein Katzensprung.
    »Die Unseren sind nicht zu sehen«, flüstert Karnauchow mir ins Ohr. »Der Abhang stört. Luftlinie bis zu den Fritzen etwa siebzig Meter. Sehen Sie, die Schweinehunde graben sogar bei Tage.«
    Man sieht tatsächlich an einer Stelle, wie etwas Rötliches aus der Erde herausfliegt, und manchmal blitzt ein Spaten.
    »Schade, daß keine Granaten da sind … Ich würde ihnen zeigen, was es heißt, vor unserer Nase zu graben. Als ich heute morgen zu graben versuchte, haben sie sofort Granatwerferfeuer eröffnet. Woher haben sie bloß soviel Munition?«
    Wir liegen lange und beobachten die Deutschen, versuchen, ihre Feuernester festzustellen. Sie sind gut getarnt, und wir bemerken sie nicht sofort. Zwei oder drei Maschinengewehre befinden sich auf einem kleinen Hügel, der dem Höcker eines Kamels gleicht – gerade uns gegenüber. Ein weiteres hat sich am Abhang der Schlucht eingenistet und beherrscht sie. Eins können wir nicht entdecken, obgleich seine Kugeln direkt neben uns einschlagen.
    So habe ich mir vor dem Kriege die vorderste Linie nicht vorgestellt. Zickzacklinien von Stacheldraht in drei bis vier Reihen, ein endloses Spinnennetz von Laufgräben, Tarnnetzen, Schießscharten. Und hier? Direkt vor der Nase ist etwas Undefinierbares aufgeschippt. Eine angeschlagene Kanone und etwas in der Art einer Benzintonne, das von Kugeln durchlöchert ist.
    Ich hatte einmal ein Buch: »Die Helden des Malachow-Hügels.« Natürlich mit Bildern. Die vierte Bastion, Redouten, Lünetten, Approchen, Berge von Sandsäcken, geflochtene Schanzkörbe, komische Kanonen auf grünen, hölzernen Plattformen, lange Lunten, runde, glänzende Bomben mit dünnen Rauchwölkchen …
    Seitdem sind beinahe neunzig Jahre vergangen. Panzer und Flugzeuge sind in dieser Zeit erfunden worden. Und nun sitzen wir in Löchern und nennen das Verteidigungsstellungen.
    Ich werde noch heute nacht mit dem Minenlegen beginnen. Fürs erste werde ich dreihundert Stück legen. Hier sind Panzerabwehrminen nicht nötig, ein Panzer wird sowieso nicht durchkommen können, aber dort hinter dem Damm bei Farber …
    Karnauchow liegt da, mit zusammengezogenen Augenbrauen, die schwarz und zusammengewachsen sind und so aussehen, als ob sie zufällig auf sein gutmütiges, grauäugiges Gesicht geraten wären.
    »Der Teufel soll’s holen. Sie haben dennoch einen guten Feuerplan! Sehen Sie nur. Von diesem Kamelhöcker aus können sie unser ganzes drittes Bataillon unter Beschuß nehmen, unter der Brücke hervor – uns in den Rücken schießen. Und von der Schlucht her – die ganze vorderste Linie bestreichen.«
    Und wie auf Verabredung fangen zur Illustration seiner Worte alle drei Maschinengewehre zu schießen an.
    »Wie würden wir den Deutschen die Suppe versalzen, wenn wir den Höcker einnähmen! Aber was kann man mit achtzehn Mann schaffen …«
    Karnauchow hat recht. Wäre jener Höcker in unseren Händen, so würden wir dem dritten Bataillon das Leben

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