Stalingrad
Rücken mit einem Bastwisch ab. Das Wasser ist nachher schwarz wie Tinte, und ich selbst bin ganz rot, und der ganze Körper juckt. Walega lacht.
»Ich werde Ihnen gleich deutsche Wäsche geben, seidene. Darin wird sich keine Laus einnisten. Rutscht ab, kann sich nicht halten.«
Ich ziehe dünne, lasuritfarbene Unterhosen und ein Hemd an, rasiere mich und gehe zu Karnauchow. Er kauert da und bemüht sich, in eine winzig kleine Spiegelscherbe zu sehen, die an der halbzerstörten Wand angebracht ist, und schabt sich das Kinn.
»Nun, wie ist das Leben?«
Karnauchow lächelt durch den Schaum und steht auf. »So ein Leben könnte man bis zum Kriegsende aushalten.
Der Fritz streikt aus irgendeinem Grunde …«
Ich setze mich neben ihn. Ringsum nur Schornsteine, keine Häuser. Schwarze, hier und da noch rauchende Balken und Schlote. Schlote, Schlote, unheilverkündende schwarze Schlote gegen einen durchsichtigen, klaren Himmel, beinahe wie auf der Krim. Die Schornsteine bleiben stets übrig, als ob sie jemand absichtlich stehengelassen hätte, um daran zu erinnern, daß hier einst ein Haus, eine Siedlung, eine Stadt gewesen ist …
Ich sitze auf einem Pfahl. Anscheinend war hier einst ein Torweg. Die Laterne mit der Nummer ist noch übriggeblieben. Eine dreieckige blaue Laterne mit der Aufschrift: »Zweite Krumme Gasse Nr. 24. Das Haus gehört Agarkowa I. N.« Auf einem Stück Wand, die Gott weiß warum erhalten geblieben ist, hängt ein schiefes Schild: »Herren- und Damenschneider Awerbuch. Annahme von Bestellungen.« Ein rotwangiges Geschöpf in gebügelter Hose blickt mich unverwandt und starr von dem Schild an, als ob es mich hypnotisieren wollte. Sie haben alle einen solchen Blick, diese Reklameschönheiten.
»Bei Ihnen hier ist es ruhig«, sage ich.
»Nur jetzt. Im allgemeinen ist es nicht so. Ich bin nur zum Rasieren herausgesprungen, im Loch ist es dunkel, nichts zu sehen – man schneidet sich kreuz und quer.«
Mit gequält verzogenem Gesicht rasiert sich Karnauchow die Oberlippe. Ich rasiere ihm den Nacken, und dann kriechen wir ins Erdloch. Hier sind ein Ofen, außerdem ein Tisch mit gekürzten Beinen und zwei Stühle. In der Ecke sitzen zwei Soldaten und ein Telefonist, den Kopfhörer über die Ohren gestülpt. Die Lampe aus einer oben zusammengedrückten Kartuschhülse qualmt. An der Wand hängt ein Kalender mit angestrichenen Daten, eine Aufstellung der Rufzeichen, ein aus der Zeitung ausgeschnittenes Bild Stalins und das eines jungen Mannes mit lockigem Haar und offenem, sympathischem Gesicht.
»Wer ist das?«
Karnauchow, der meinen Blick aufgefangen hat, wird verlegen.
»Jack London.«
»Jack London?«
Karnauchow steht gegen das Licht. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber an seinen durchscheinenden Ohren erkenne ich, daß er rot geworden ist.
»Warum denn plötzlich Jack London?«
»Einfach so … Ich schätze ihn … Wollen Sie Milch?« »Milch? Hier? Woher?«
»Kondensierte … amerikanische. Die Burschen haben sie beschafft.«
Mit großem Genuß lecke ich den Löffel mit der dicken, übermäßig süßen Milch ab, die wie Lindenhonig schmeckt. »Woher haben Sie denn das Bild?«
»Woher?« Karnauchow lacht. »Natürlich aus dem Lazarett. Ida habe dort die ganze Bibliothek durchgelesen, aber ›Martin Eden‹ habe ich nicht geschafft, drum habe ich ihn für einige Zeit mitgenommen.«
»Lieben Sie Jack London?«
»Ja … ich habe einiges von ihm gelesen.«
»Ich liebe ihn auch.«
»Ihn lieben alle. Es ist unmöglich, ihn nicht zu lieben.« »Warum?«
»Er ist irgendwie echt … Sogar Lenin liebte ihn. Krupskaja hat ihm seine Bücher vorgelesen.«
»Geben Sie ihn mir nachher zum Lesen?«
»Gut.«
»Welche Schriftsteller lieben Sie noch?«
Er wird wieder verlegen.
»Ich habe wenig gelesen. Unsere Lehrerin hatte nur London, ich weiß nicht, woher sie ihn sich beschafft hatte. Wissen Sie, in braunen Umschlägen, Zeitungsbeilagen … Und noch Melnikow-Petscherskij und noch jemanden. Ich kann mich schon nicht mehr darauf besinnen, irgendeinen Ausländer.«
»Nun, das war in der Schule. Und dann?«
»Dann? Dann war keine Zeit mehr. Ich habe in einem Bergwerk gearbeitet, in Sutschan, kennen Sie es? Bei Wladiwostok.«
»Ich kenne es.«
»Als kleiner Knirps war ich fest entschlossen, nach Amerika durchzubrennen, um in Clondike Gold zu suchen. Habe meinem Vater eine Flinte gemaust, Zwiebäcke aufgespart. Habe mich sogar auf einem norwegischen Schiff versteckt. Wir lebten damals in
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