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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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los?«
    »Aus Ihrem Gefechtsstand ist angerufen worden, Sie möchten sofort hinkommen.«
    »Ich? Sofort? Wer hat angerufen?«
    »Ich weiß nicht … irgendein Oberst.«
    Was für ein Oberst? Woher ist der aufgetaucht? Mir unbegreiflich.
    »Hat gesagt, dringend, daß in drei Minuten …«
    Ehe ich Karnauchows Unterstand erreiche, stoße ich auf Walega. Er rennt Hals über Kopf, ist ganz außer Atem.
    »Ein Oberst wartet auf Sie … der Divisionskommandeur, glaub ich … mit Orden. Und noch andere sind bei ihm. Unterleutnant Charlamow kann keine genauen Angaben machen. Und sie schimpfen …«
    Ewig und immer dieser Charlamow, verflucht soll er sein! Hängt mir wie ein Mühlstein am Halse. So was nennt sich Erster Adjutant, Stabschef. In die Küche gehört er und nicht in einen Stab.
    Die Deutschen fangen plötzlich eine Schießerei an, und wir liegen gute fünfzehn Minuten mit der Nase in der Erde.
    7
    Der Oberst, ein ganz kleiner, schmächtiger Mann mit eingefallenen Wangen, die wie absichtlich eingezogen aussehen, und waagerechten, gespannten Falten zwischen den Augenbrauen, sitzt mit aufgestützter Hand am Tisch. Der Mantel mit den goldenen Knöpfen ist geöffnet. Daneben unser Major, ein Stöckchen zwischen den Knien. Und noch zwei andere.
    Charlamow steht stramm, zugeknöpft. Ich sehe ihn zum ersten Male so. Er zwinkert mit den Augen.
    Ich salutiere und erstatte Bericht: »Das Bataillon gräbt sich ein und legt Minen.« Zwei große schwarze Augen blicken mich unverwandt an aus einem mageren, schwindsüchtigen Gesicht. Dürre, schmale Finger klopfen leicht auf den Tisch. Alle schweigen.
    Ich lasse die Hand sinken.
    Die Pause dehnt sich. Ich höre, wie Walega hinter meinem Rücken heftig atmet.
    Die schwarzen Augen ziehen sich zusammen, verengen sich, und die blutlosen Lippen, schmal wie ein Fädchen, scheinen zu lächeln.
    »Was ist mit Ihnen? Haben Sie sich mit jemandem gerauft, he?«
    Ich schweige.
    »Geben Sie ihm einen Spiegel. Er soll sich mal selber ansehen.«
    Jemand reicht mir einen dicken, abgeblätterten Scherben. Ich erkenne mich kaum. Außer Augen und Zähnen kann man nichts erkennen. Hände, Jacke, Stiefel, alles von Schmutz bedeckt.
    »Nun gut«, lacht der Oberst, und sein Lachen ist unerwartet fröhlich und jung. »Kommt alles vor … Ich habe mal dem Befehlshaber des Wehrkreises in Sporthosen Bericht erstattet, bin aber glücklich davongekommen. Habe bloß zehn Tage Arrest bekommen, weil ich ohne Kopfbedeckung salutierte …«
    Das Lächeln verschwindet von seinem Gesicht, als ob es jemand weggewischt hätte. Die schwarzen großen Augen richten sich wieder auf mich – kluge, ein wenig müde Augen mit dreieckigen Säcken.
    »Nun, Bataillonskommandeur, prahle damit, was du in den letzten vierundzwanzig Stunden geschafft hast. Wenn es in der vordersten Linie aussieht wie in deinen Akten, bist du nicht zu beneiden.«
    »Es ist wenig getan worden, Genosse Oberst.«
    »Wenig? Warum?« Er blickt mich unverwandt an.
    »Wenig Leute, und mit Werkzeugen ist es schlecht bestellt.«
    »Wieviel Mann hast du?«
    »Kampffähige – sechsunddreißig.«
    »Und Nichtstuer – wie Melder und ähnliche?« »Alles in allem etwa siebzig.«
    »Und weißt du, wieviel Mann im dreiundvierzigsten Regiment sind? Fünfzehn bis zwanzig Mann in einem Bataillon, und dennoch kämpfen sie.«
    »Ich kämpfe auch, Genosse Oberst.«
    »Er hat das ›Metis‹ gehalten, Genosse Oberst«, fällt der Major ein. »Wir haben ihn in der vergangenen Nacht nach rechts nachrücken lassen.«
    »Verteidige ihn nicht, Borodin. Er sitzt jetzt nicht im ›Metis‹, und die Deutschen werden ihn nicht aus dem ›Metis‹ verjagen …« Und wieder zu mir gewandt: »Sind Gräben vorhanden?«
    »Werden gegraben, Genosse Oberst.«
    »Zeig mal …«
    Zu einer Antwort komme ich nicht mehr. Er steht schon an der Tür und knöpft mit schnellen, nervösen Bewegungen den Mantel zu.
    Ich versuche ihm zu sagen, daß dort heftig geschossen wird und daß es sich für ihn vielleicht nicht lohnt …
    »Belehr mich nicht! Ich weiß Bescheid.«
    Borodin erhebt sich auch, stützt sich schwer auf den Stock.
    »Du brauchst nicht mitzugehen. Wirst dein letztes Bein verlieren. Was werd ich denn ohne dich machen? Komm, Bataillonskommandeur.«
    Wir – ich, Walega, der Adjutant des Divisionskommandeurs – ein junger Bursche mit unwahrscheinlich rundem und flachem Gesicht – holen ihn kaum ein. Mit kleinen, ganz unmilitärischen, leicht wiegenden Schritten geht er schnell und

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