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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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heraus. Alles geht an ihm vorbei, umfließt ihn, bleibt aber nicht hängen. Ich habe ihn noch nie lächeln sehen. Ich weiß nicht einmal, was für Zähne er hat.
    Die Regung der Neugier sowie das Gefühl der Angst sind bei ihm einfach verkümmert. Einmal, es war noch im »Metis«, habe ich ihn in einem der Laufgräben getroffen. Er stand, an die Brustwehr gelehnt, in seinem kurzen, bis ans Knie reichenden Soldatenmantel, den Rücken dem Feind zugewendet, und bohrte zerstreut mit der Fußspitze in der abbröckelnden Wand des Laufgrabens. Zwei oder drei Kugeln schlugen in der Nähe ein. Dann explodierte eine Granate. Er fuhr fort, in der Erde zu bohren.
    »Was machen Sie hier, Farber?«
    Er wandte sich um, langsam, wie unwillig, und seine Augen mit den farblosen Wimpern und den schweren, leicht geschwollenen Lidern richteten sich fragend auf mich. »So, einfach nichts …«
    »Aber die Fritzen werden Ihnen hier im Handumdrehen den Garaus machen.«
    »Kann sein«, stimmte er mir zu und hockte sich nieder. Es wäre falsch, ihn als liederlich zu bezeichnen – er ist immer rasiert und sein Kragen stets frisch, aber das ist offenbar Gewohnheit oder Erziehung, denn seinem Äußeren mißt er keinerlei Bedeutung bei. Der Mantel ist zwei Nummern zu klein, das Koppel sitzt unter den Schulterblättern, an den Beinen trägt er Wickelgamaschen, die Feldmütze ist zerknüllt, die Kragenspiegel fehlen. Einmal sagte ich zu ihm:
    »Sie sollten sich Rangabzeichen annähen, Farber.« Er sah mich, wie immer, verwundert an.
    »Wegen der größeren Autorität, was?«
    »Es ist Vorschrift bei der Armee, Rangabzeichen zu tragen.«
    Er stand schweigend auf und ging weg. Am nächsten Tag bemerkte ich auf dem Kragen seines Mantels zwei Vier ecke aus Stoff, schief und krumm mit weißem Garn aufgenäht.
    »Sie haben eine schlechte Ordonnanz, Farber, er ist mit den Vierecken durchaus nicht zu Rande gekommen.«
    »Ich habe keine Ordonnanz, habe die Vierecke selber angenäht.«
    »Warum haben Sie keine Ordonnanz?«
    »In der Kompanie sind achtzehn und nicht hundertfünfzig Mann.«
    »Nun, dann soll einer gleichzeitig Ihre Ordonnanz sein.«
    »Das ist ein überflüssiger Luxus, glaub ich.«
    »Es ist nicht überflüssig und kein Luxus. Sie sind Kompaniechef.«
    Er erwiderte nichts darauf. Er erwidert überhaupt niemals etwas und empört sich auch nie, aber einen Melder hat er, glaube ich, bis jetzt noch nicht.
    Ein seltsamer Mensch. Ich fühle mich in seiner Gesellschaft immer gehemmt. Darum halte ich ihn auch nie auf. Sobald er seinen Befehl erhalten hat – auf Wiedersehen, führ ihn aus. Er hört schweigend und zerstreut zu, blickt zur Seite, nickt mit dem Kopf oder sagt: »Werd mich bemühen«, und geht dann fort.
    Jetzt sitzt er teilnahmslos, gekrümmt da, die blassen, knochigen Hände ragen aus den kurzen Ärmeln heraus, er trommelt mit den Fingern auf den Tisch.
    »Denken Sie daran, Farber«, sage ich zu ihm, »Sie haben einen schlechten Abschnitt, rechnen Sie nicht sonderlich auf die Artillerie. Alles hängt von den Maschinengewehren ab. Lassen Sie sich nicht zu sehr vom Frontalfeuer hinreißen, außer Geknatter hat es wenig Sinn.«
    Er nickt schweigend mit dem Kopf. Seine langen Finger trommeln ohne Unterbrechung monoton auf den Tisch.
    Man sieht durch den Spalt, daß es draußen schon ganz hell geworden ist. Ich entlasse die Kompanieführer, rufe beim Stab an und teile mit, daß der Stellungswechsel vollzogen ist, und schicke die Übernahmeunterlagen durch einen Melder hin.
    Die Artilleristen haben sich mit unserer Anwesenheit abgefunden. Am anderen Ende des Rohres rufen sie ihre Koordinaten ins Telefon. Anscheinend werden unsere Kanonen bald zu dröhnen anfangen.
    5
    Am Morgen erwarten wir einen Angriff – undenkbar, daß die Deutschen unser nächtliches Rumoren nicht bemerkt haben. Aber gegen alle Erwartungen verläuft der Tag derart ruhig, daß es uns sogar gelingt, das Mittagessen während des Tages vom Ufer heranzubringen. Nach einem vierundzwanzigstündigen Durcheinander, endlosen Angriffen, Bombardements und Artillerieüberfällen fällt es einem schwer, an diese Ruhe zu glauben. Die ganze Zeit über wittert man irgendeine Tücke.
    Aber vorläufig bleibt alles ruhig. Die übliche Schießerei, ziemlich träge und selten. Um sieben Uhr erscheint wie immer der »Rahmen«. Dann die »Sänger« über dem »Roten Oktober« …
    Walega schleppt von der Wolga zwei Eimer Wasser heran, macht sie auf dem Primus warm und schrubbt mir den

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