Stalingrad
Unterstand ist, der Topf mit Nudeln, Hauptsache, daß sie recht heiß sind. Und vor dem Kriege mußte ich Anzüge haben und gestreifte Schlipse; im Bäckerladen zankte ich mich herum, wenn man mir für zwei Rubel siebzig einen »Kalatsch« 7 gab, der nicht genügend knusprig war … Sollten wir wirklich nach dem Kriege, nach all diesen Bombardements wieder … Und so weiter in diesem Sinne.
Dann wird es mir langweilig, die Decke anzustarren und mir Gedanken über die Zukunft zu machen. Ich klettere hinaus.
Wie früher greifen Flugzeuge den »Roten Oktober« an, wie früher explodieren Granaten auf der Wolga, mal auf jenem und manchmal auch auf diesem Ufer. Boote huschen auf dem Fluß vorbei und werden von den Deutschen beschossen. Aber nur wenige achten darauf. Sogar als ein Pärchen toller Messerschmitt das Ufer beschießt und die Junkers zur Abwechslung ihre Bomben nicht über dem »Roten Oktober«, sondern über uns abwerfen, regt sich niemand sonderlich auf. Alle verkriechen sich unter Stämme oder in Gräben und gucken von da raus wie Zieselmäuse. Dann kriechen alle hervor, und wenn jemand getötet worden ist, dann begräbt man ihn gleich am Ufer, in den Bombentrichtern. Die Verwundeten werden ins Lazarett geschafft. Und das alles geschieht ruhig, unter Rauchen und Witzemachen.
Ich habe mir’s auf einem dicken Rohr (mir unbekannten Ursprungs) bequem gemacht, das sich längs des ganzen Ufers hinzieht, und baumele mit den Beinen. Ich rauche eine Mischung, die einen umwirft und den Atem verschlägt, genieße die letzten Sonnenstrahlen, den blauen Himmel, die Kirche am anderen Ufer und denke …
Nein, wahrscheinlich denke ich an gar nichts. Ich rauche nur und baumele mit den Beinen.
Garkuscha, der schnurrbärtige Gehilfe des Kompanieführers, kommt zu mir heran. Ich zeige ihm meine Uhr – sie bleibt oft stehen. Er schaut sie sich an, schüttelt sie und meint, der Zylinder sei Dreck, und gleich zu meinen Füßen, nachdem er sich ein Brett auf die Knie gelegt hat, fängt er an,
sie zu reparieren. Seine Bewegungen sind erstaunlich knapp und präzis, obgleich es den Anschein hat, als ob die Uhr von der bloßen Berührung seiner gewaltigen schwieligen Hände gleich zerdrückt und zermalmt werden würde.
Seinen Vorkriegsberuf kann ich so nicht feststellen. Er ist sechsundzwanzig Jahre alt, aber er ist schon Uhrmacher, Ofensetzer, Taucher gewesen, sogar Zirkusakrobat, ja, er hat es fertiggebracht, dreimal verheiratet gewesen zu sein, und korrespondiert regelmäßig mit allen drei Frauen, obgleich zwei von ihnen neue Ehemänner haben.
Im Gespräch ist er zurückhaltend, aber er antwortet bereitwillig auf alle Fragen. Da ich nichts zu tun habe, frage ich viel. Er antwortet ausführlich, als ob er einen Fragebogen ausfülle. Von der Uhr reißt er sich nicht für eine Minute los. Nur einmal geht er in den Tunnel, um die Pioniere zu kontrollieren.
Dann erscheint Astafjew, der Operationsgehilfe des Stabschefs, in unserer Sprache »PNSch-l«. Er ist jung, elegant, trägt einen Backenbart wie Onegin, seine Augen haben einen bleiernen Blick. Er spricht etwas schnarrend, auf französische Art. Offenbar glaubt er, daß ihm das steht. Wir sind erst zwei Tage miteinander bekannt, aber er betrachtet mich schon, glaube ich, als seinen besten Freund und nennt mich »George«. Er heißt Ippolit. Meiner Meinung nach sehr treffend. Irgendwie erinnert er an den Ippolit Kuragin von Tolstoi. 8 Er ist genauso beschränkt und anmaßend. Er ist Dozent der Geschichte an der Universität Swerdlowsk. Wenn er eine Zigarette raucht, spreizt er geziert den kleinen Finger und bläst den Rauch aus, indem er den Mund zu einem Röhrchen formt. Der Beruf verpflichtet, und so sammelt er bereits Material für die künftige Geschichtsschreibung.
»Verstehen Sie, wie interessant das ist, George?« sagt er und stützt sich elegant auf das Rohr, von dem er vorher den Staub weggepustet hat. »Gerade jetzt, im Brennpunkt des
Geschehens, darf man es nicht vergessen. Am wenigsten dürfen wir das, wir Leute von Kultur und Bildung, die wir Teilnehmer dieser Geschehnisse sind. Jahre werden vergehen, und für einen halbvermoderten Schießplan Ihres Zugführers wird man Tausende zahlen und ihn durch die Lupe betrachten. Nicht wahr?«
Er faßt einen meiner Knöpfe und dreht ihn mit Zeigefinger und Daumen leicht hin und her.
»Sie werden mir helfen, George, nicht wahr? Auf Abrossimow und ähnliche kann ich nicht zählen, das verstehen Sie selbst. Außer der
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