Stalingrad
gerade diese Art des Krieges streben wir jetzt an – die Zahl, die Qualität und die Durcharbeitung der Verteidigungsanlagen eine führende, ich möchte sogar sagen, eine erstrangige Rolle spielen.«
Er schluckt Speichel und blickt mich über die Brille hinweg mit seinen kleinen Augen an, über deren Lidern die Haut in Falten hängt.
»Vor siebenundachtzig Jahren hielt Sewastopol gerade deshalb stand, weil unsere Kollegen – die Pioniere – und jener Totleben 9 es verstanden hatten, einen beinahe unbezwingbaren Gürtel aus Befestigungen und Hindernissen zu errichten. Die Franzosen und die Engländer und sogar die Sardinier haben dieser Frage ebenfalls große Beachtung geschenkt. Wir wissen zum Beispiel, daß vor dem Malachow-Hügel …«
Und er erzählt ausführlich, mit Angabe einer ganzen Menge Zahlen, über die Befestigungen von Sewastopol, springt dann auf den Russisch-Japanischen Krieg über, auf Verdun, auf die berühmten Drahtverhaue bei Kachowka.
Sorgfältig legt er die Zeichnungen, auf denen die Lage der Retranchements und Approchen von Sewastopol markiert ist, in eine Mappe mit der Aufschrift: »Historische Beispiele.«
»Sie sehen, wir haben Arbeit ohne Ende. Und je schneller wir sie bewältigen, desto besser.«
Er schreibt auf ein Blatt Papier eine »1« und umgibt sie mit einem Kreis.
»Das ist erstens. Zweitens bitte ich Sie gehorsamst, mir täglich Punkt sieben eine Meldung zu erstatten über die während der Nacht durchgeführten Arbeiten: a) durch Ihre Pioniere, b) durch die Divisionspioniere, c) durch die Armeepioniere, falls welche dasein sollten – und ich hoffe, daß dies der Fall sein wird, d) durch die Schützeneinheiten. Außerdem …«
Das Papier bedeckt sich wieder mit Zahlen – römischen, arabischen, in Kreisen, kleinen Bögen, Quadraten oder auch ganz ohne.
Zum Abschied streckt er mir die Hand hin, eine schmale, intelligente Hand mit Podagraschwellungen an den Gelenken.
»Vor allem bitte ich Sie, nicht zu vergessen, an jedem Vierzehnten und Neunundzwanzigsten die Formulare einzusenden – 1, 1b, 13 und 14. Und den Monatsbericht zum Dreißigsten. Noch besser ebenfalls am Neunundzwanzigsten. Und jede Woche eine zusammenfassende Tabelle der durchgeführten Arbeiten. Das ist sehr wichtig …«
In der Nacht, bei einer Büchse Fischkonserven, lacht Lissagor fröhlich und laut:
»Nun, Leutnant, bist du rettungslos verloren! Du mußt ein ganzes Planungsbüro eröffnen. Hast du ihn nicht gefragt, woher er kommt? Ist er vielleicht von der Ingenieur-Akademie gekommen?«
18
Die Tage gehen dahin.
Die Kanonen schießen. Kleine, mit kurzen Rohren, das sind die Regimentskanonen. Sie schießen aus nächster Nähe, direkt aus der vordersten Linie. Etwas größere – die Divisionskanonen – schießen vom steilen Abhang über dem Ufer, aufgestellt zwischen einem Ofen und einem zerschlagenen Bett. Die ganz großen, mit den langen, hochragenden Rohren unter den Tarnungsnetzen, schießen vom anderen Ufer der Wolga. Auch die ganz schweren lassen ihre Stimme vernehmen. Sie werden auf Raupenschleppern gefahren, Rohr und Lafette für sich. Der Oberzahlmeister, Lasar – so wird er im ganzen Regiment genannt –, ein beweglicher, sympathischer, an allem interessierter Mann, der von drüben gekommen ist, um die Löhnung auszuzahlen, sagt, daß dort kein Platz mehr zum Spucken sei, unter jedem Strauch stehe eine Kanone.
Die Deutschen feuern wie früher eifrig mit sechsläufigen Granatwerfern auf die Überfahrtstelle, und die Wolga glänzt hinterher noch lange von den silbrigen Bäuchen betäubter Fische.
Flugzeuge brummen: die deutschen am Tage, unsere »Kukurusniks« in der Nacht. Allerdings sind auch bei den Deutschen Nachtflugzeuge erschienen, und man kann jetzt nachts gar nicht mehr sagen, wo unsere sind und wo ihre. Wir graben, legen Minen, schreiben lange Meldungen: »In der Nacht sind angelegt worden: Schützengräben – soundso viele, Laufgräben – soundso viele, Granatwerferstellungen, Unterstände, Minenfelder – soundso viele, Verluste – die und die, in der gleichen Zeit zerstört – das und das …«
Am Ufer werden bei uns Werkstätten eröffnet. Zwei kränkliche Pioniere drehen eine Holztrommel, fertigen Drahtwalzen an – ein Mittelding zwischen einer Harmonika und einer Wurst aus Stacheldraht. Später werden sie von den Divisionspionieren vor der vordersten Linie aufgestellt. Jeden Abend stellt sich ein Zug der zweiten Kompanie des Pionierbataillons ein. Meine Pioniere
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