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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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farblos. Die Kreise verschwinden. Statt ihrer ein Gesicht. Ein goldener Schopf, aufgeknöpfter Kragen, Augen, lachende blaue Augen. Schirjajews Augen. Und auch Schirjajews Schopf. Und die Lampe mit dem grünen Schirm. Der Salmiak stinkt so, daß man weinen möchte.
    »Erkennst du mich wieder, Ingenieur?«
    Es ist auch Schirjajews Stimme. Jemand rüttelt mich, umarmt mich, ein rauher, stachliger Kragen gerät mir direkt in den Mund. Natürlich, das ist ja unser Unterstand. Und Walega. Und Charlamow. Und Schirjajew. Der wirkliche, lebendige, greifbare Schirjajew mit dem goldenen Haarschopf.
    »Erkennst du mich wieder?«
    »Herrgott im Himmel, natürlich.«
    »Nun, Gott sei Dank!«
    »Gott sei Dank!«
    Wir schütteln einander die Hände, lachen und wissen nicht, was wir noch sagen sollen. Ringsherum lachen alle, ich weiß nicht, warum.
    »Seien Sie vorsichtiger, Genosse Oberleutnant, er ist doch verwundet. Sie werden ihn noch ganz und gar durcheinander- schütteln.«
    Das ist natürlich Walega. Schirjajew winkt abwehrend:
    »Was heißt verwundet! Die Haut ist etwas abgeschürft, mehr nicht … Morgen wird es geheilt sein.«
    Ich fühle Schwäche. Mir schwindelt es, besonders beim Wenden des Kopfes.
    »Willst du trinken?«
    Ich komme gar nicht dazu, zu antworten. Zwischen meinen Zähnen ist eine säuerliche Blechbüchse, und etwas Kaltes, Angenehmes fließt durch den ganzen Körper. »Woher kommst du, Schirjajew?«
    »Bin vom Mond gefallen.«
    »Nein, im Ernst.«
    »Im Ernst. Habe die Ernennung bekommen, und das ist alles. Zum Bataillonskommandeur deines Bataillons … Unzufrieden?« Er hat sich überhaupt nicht verändert. Nicht einmal magerer ist er geworden. Genauso kräftig, starkknochig, straff, die Feldmütze über der einen Braue.
    »Du siehst aber elend aus«, sagt er, und ein breites, seine weißen Zähne entblößendes Lächeln weicht nicht von seinem Gesicht. »Viel Ruhe habt ihr hier anscheinend nicht gehabt.«
    »Ja, was Erholung anbetrifft, so ist es hier nicht sonderlich damit bestellt … Aber warte, warte. Woher seid ihr denn jetzt aufgetaucht?«
    »Ist es nicht egal, woher? Wir sind hier, und damit Schluß.«
    »Und die Fritzen?«
    »Die Fritzen sind Fritzen geblieben. Sind aus der Schlucht getürmt. Haben sogar zwei Gefangene hinterlassen.«
    »Seid ihr viele?«
    »Wie man’s nimmt. Zwei Bataillone. Deins und das dritte. Etwa fünfzig Mann.«
    »Du lügst!«
    Er lacht wieder, und alle ringsherum lachen auch.
    »Warum soll ich denn lügen? Deiner Meinung nach viel?«
    »Und deiner Meinung nach?«
    »Wie man’s nimmt …«
    »Halt … Und die Brücke? Was ist mit der Brücke?«
    »Da sitzen noch etwa fünf Mann«, wirft Charlamow ein, »aber nicht mehr lange.«
    »Wunderbar. Einfach wunderbar … Und Tschumak, Karnauchow?«
    »Sie leben!«
    »Na, Gott sei Dank. Gib mir noch etwas Wasser.«
    Ich trinke noch anderthalb Becher. Schirjajew steht auf.
    »Bring dich in Ordnung, und ich werde unterdes sehen, was sich da tut. Am Abend werden wir uns was erzählen, werden uns an den Oskol, an Petropawlowka erinnern. Weißt du noch, wie wir am Ufer saßen?« Er streckt mir die Hand hin. »Kannst du dich noch an Filatow erinnern? An den Maschinengewehrschützen? War so ein Älterer, ein Nörgler.«
    »Ja, ich erinnere mich.«
    »Der ist von einem deutschen Panzer zermalmt worden. Ist nicht vom Maschinengewehr weggegangen. So sind sie denn beide zusammen zerquetscht worden.«
    »Schade um den Alten.«
    »Schade. War ein guter Alter.«
    Wir schweigen einige Sekunden.
    »Nun, ich gehe.«
    »Geh! Also am Abend.«
    Er geht fort, die Mütze auf die linke Braue geschoben.
    Am Abend sitzen wir, Schirjajew und ich, im Bataillonsgefechtsstand – im Rohr unter dem Damm.
    Meine Wunde ist unbedeutend – die Stirnhaut ist abgeschürft, und eine kleine Schramme zieht sich bis zum Haar hin. Ich kann sogar trinken, allerdings nicht viel. Wir trinken ein schrecklich stinkendes Gesöff, Sprit oder Branntwein, essen Heringe dazu, dieselben, die ich auf der Höhe hinausgeworfen habe. Walega konnte es natürlich nicht mit ansehen.
    »Wie kann man so was wegwerfen«, sagt er. »Als Sie das letzte Mal getrunken haben, haben Sie selbst gesagt: ›Ein Hering wäre jetzt gut, Walega‹ …« Er breitet sie, säuberlich entgrätet und zerteilt, auf einer gestohlenen Zeitung aus Charlamows Archiv aus. Aus diesem Grunde entstehen zwischen ihnen immer Streitigkeiten.
    Wir sitzen und trinken, erinnern uns an den Juni, den Juli, an die ersten

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