Stalingrad
legen Minen und leiten die Arbeiten in der zweiten Verteidigungsstellung. Hier arbeiten die sogenannten »Nichtstuer«: Schneider, Friseure und Flammenwerferschützen, die ihre Ausrüstung noch nicht bekommen haben. Mit dem Minenlegen beschäftigen sich natürlich Garkuscha und der Kommandeur der zweiten Gruppe, Agniwzew – ein energischer, gewissenhafter Mensch, aber unbeliebt bei den Soldaten wegen seiner Grobheit.
Lissagor ist wie früher emsig und brummig. Er hat immer einen unaufschiebbaren Auftrag des Regimentskommandeurs – mal muß er einen Schuppen für das Kleiderlager bauen, mal eine Waffenwerkstatt oder sonst etwas. Er riecht immer noch nach Wodka, wie ein Faß, aber er hält sich gut.
Am Tage ruhen wir uns aus, richten die Unterstände ein, kalfatern die Boote. Sobald die ersten Sterne auftauchen, nehmen wir Spaten und Picken und gehen in die vorderste Stellung. Es gibt nur noch wenige Brandstellen. Raketen erhellen den Weg.
Nach der Arbeit sitzen wir mit Schirjajew und Karnauchow – im zweiten Bataillon bin ich am häufigsten – in dem engen, überheizten Unterstand, rauchen Machorka, schimpfen auf das Soldatenleben und beneiden die in der Etappe. Manchmal spielen wir Schach, und Karnauchow setzt mich systematisch matt. Ich bin ein schlechter Schachspieler.
Gegen Morgen, wenn der Tag zu grauen anfängt, gehen wir nach Hause. Morgens ist es schon kalt. Bis gegen zehn Uhr verschwindet der Reif nicht. Im Unterstand erwarten mich Tee, von gestern übriggebliebene Konserven und der in der Ecke gemütlich knisternde Ofen …
In der Sprache der Heeresberichte nennt man das alles zusammen: Unsere Truppenteile führten Feuergefechte mit dem Gegner und befestigten ihre Stellungen. Die Worte »hart« und »schwer« fehlen schon seit zehn Tagen im Heeresbericht, obgleich die Deutschen wie früher von morgens bis abends Bomben abwerfen, schießen, hier und da angreifen. Aber sie haben nicht mehr den früheren Schwung und das Selbstvertrauen, und immer seltener und seltener werfen sie über unseren Köpfen Wolken von Flugblättern ab mit der Aufforderung, wir möchten uns ergeben und die Hoffnung auf den vom Norden her anmarschierenden Shukow aufgeben.
Der November beginnt mit verstärkten Morgenfrösten. Endlich bekommen wir Winterbekleidung: Wintermützen, warme Jacken, gesteppte Hosen, Tuchfußlappen und Fäustlinge aus Kaninchenfell. Man verspricht uns, daß in den nächsten Tagen Filzstiefel und Fellwesten eintreffen werden. Wir nähen die Sternchen von den Feldmützen auf die grauen Wintermützen und stellen uns auf die Winterordnung um – gehen nicht mehr an die Wolga zum Waschen und fangen an zu rechnen, wie viele Tage es noch bis zum Frühling sind.
Ustinow überschüttet mich mit einer ganzen Flut von Zetteln – kleinen, sorgfältig zusammengefalteten und zusammengeklebten, mit dem unvermeidlichen »Streng geheim!« und »Nur für Kershenzew!« rechts in der Ecke; sie fordern von mir beharrlich und in verschiedenartigen Ausdrücken bald ein nicht zugeschicktes Formular, bald einen verspäteten Bericht; bald machen sie auf die Notwendigkeit aufmerksam, die Minenfelder für die Winterverhältnisse vorzubereiten: die Zünder mit Fett einzuschmieren und die schlecht getarnten Minen mit weißer Farbe anzustreichen.
Diese Zettel bringt ein lustiger pockennarbiger und stupsnasiger Pionier, Ustinows Melder. Schon vor der Tür ruft er mit seiner schallenden Jungenstimme:
»Machen Sie auf, Genosse Leutnant! Die Morgenpost ist da!«
Mit Walega ist er befreundet. Sie rauchen die unvermeidliche Zigarette, hocken sich am Eingang hin und stellen Betrachtungen an über ihre und fremde Offiziere.
»Meiner schreibt in einer Tour«, tönt durch die Tür die Stimme des Melders. »Sowie er aufsteht, greift er zum Bleistift. Ich glaube, er geht nicht einmal auf die Toilette. Fürchtet sich zu sehr vor Minen. Hat sogar befohlen, eine Schutz wand aus Stämmen vor dem Eingang zu errichten und die Toilette mit Schienen zu bedecken.«
»Meiner hingegen schreibt höchst ungern«, sagt im tiefen Baß Walega. »Schimpft immer auf deinen, weil er ihm so viele Zettel schickt. Dafür muß ich ihm Bücher beschaffen; er liest alles. Schlürft Schtschi 10 und guckt dabei mit einem Auge entweder ins Buch oder in die Zeitung. Ist sehr gebildet!«
»Nicht mehr als meiner«, antwortet beleidigt der Melder. »Hast du gesehen, wie viele Bücher bei uns auf dem Tisch liegen? Das eine – ich habe es selbst gesehen – hat
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