Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
Vom Netzwerk:
wieder abzuhauen.«
    »Du bist eh alles gefahren«, sagte das Milchgesicht.
    »Na und? Kein Fußbreit zurück, sagt der Führer. Das ist auch meine Meinung. Wie im letzten Winter. Da hat der Führer auch die Front gerettet.«
    Fritz platzierte seine Hand auf dem Bauch des Milchgesichts, der immer noch so beachtlich war, dass nur unlautere Mittel im Spiel sein konnten. »Ah, ist das schön mollig! Wie viel Kilo?«
    »Fünfundneunzig.«
    »Bevor ich hierher kam«, erinnerte sich Fritz wehmütig, »hatte ich hundertfünfzehn. Mutter hat schon immer g’meint: Bub, wenn du so weiterfrisst, bleibst Jungfrau. Und jetzt, wo man soweit wär«, er präsentierte kummervoll seinen geschrumpften Bauch, »sind die Weiber weit weg. Was seid ihr für’n Haufen?«
    »Nachschub.«
    Die Frontsoldaten lachten höhnisch. »Die Männer, die nie ankommen.«
    Fritz warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Führerhaus eines Lkws. »Das war eigentlich immer mein Traum.« Er seufzte. »Aber dann hat man ja gemeint, man muss zur Elite gehören, gardemaßmäßig.« Ohne zu fragen, nahm er drei Flaschen Bier aus dem Kasten und begab sich zu Rollo und Bubi. Die befanden sich mittlerweile in einer Menschentraube, die sich gegen eine Kette von Feldgendarmen drängte.
    »Schau mal, was die da haben!«, rief ihm Bubi zu.
    Fritz sah erst jetzt den Lastwagen hinter der Absperrung, hoch beladen mit Winterkleidung. Zwei Feldgendarmen wateten durch die Jacken und Mäntel. Sie trugen Benzinkanister und schütteten den Inhalt über die Ladung. Auf die Beschimpfungen der Soldaten, die ihnen ihre erfrorenen Hände präsentierten, reagierten sie mit der Überheblichkeit von Leuten, die das Gesetz auf ihrer Seite haben.
    Fritz drängte sich zu einem von ihnen durch und bot ihm von seinem halb gefrorenen Bier an. »Pass auf, kriegst ’n Bier oder zwei. Dafür holst jetzt ’n paar Jacken und vor allem Handschuh her!«
    »Ich habe meine Befehle«, lautete die barsche Antwort. »Vor dem Ausbruch muss jeder überflüssige Ballast vernichtet werden. Und jetzt verschwinden Sie!«
    Fritz wandte sich achselzuckend ab. Die paar Stunden, schlimmstenfalls Tage, bis sie hier raus waren, würde er auch ohne einen anständigen Mantel und neue Handschuhe überstehen.
    Auf ein Handzeichen des ko mmandierenden Wachtmeisters verwandelte sich der Lastwagen in eine lodernde Fackel. In ohnmächtiger Wut mussten die Männer mit ansehen, wie die wertvolle Ladung in Flammen aufging.
    Ein Knall hinter ihnen ließ sie herumfahren. Das Geschütz, das sie angeschleppt hatten, war gesprengt worden. Gross wischte sich mit dem verdreckten Ärmel übers Gesicht und hielt die offenen Handflächen gegen das Feuer.
    »Ich schwitze!«, schrie er und hustete lachend. »Mann, ich schwitze!«

 
     
     
     
     
     
    56
     
     
    D ie erträglichen Temperaturen hielten nicht lange an. Schon bald trampelten die Kräftigeren wieder mit den Füßen oder schlugen die Arme um den Körper. Die weniger Kräftigen froren still vor sich hin.
    Endlich bekamen sie einen Bus zugewiesen. Dort kauerten sie dicht gedrängt in zerrissenen, reifüberzogenen Sitzen oder auf dem eisigen Boden und warteten auf den Ausbruch. Zunächst einmal aber warteten sie darauf, dass ihre Körper den Bus wärmten. Jeder hatte eine rostige Konservendose, in der er Kleinabfälle verbrannte, um zumindest die Finger zu wärmen, damit sie in der Kälte nicht abstarben. Dennoch und trotz der maßlosen Erschöpfung war man guter Stimmung. Lange konnte es nicht mehr dauern.
    Nur Rollo machte sich so seine Gedanken. »Verdammt, jetzt hatten wir schon die Stadt mit Stalins Namen!«
    »Kannst ja hierbleiben und die Stellung halten«, schlug Fritz vor. »Wir holen dich nächstes Frühjahr ab.«
    »Stalingrad ist wichtiger als Moskau, psychologisch, verstehste? Mit der Stadt fällt ganz Russland.«
    »Das haste mir bei jedem Bunker erzählt, den wir ausgeräuchert haben.«
    So ging es noch eine Weile weiter, aber mit jeder Minute, die verstrich, schwand ihre Fröhlichkeit, und ihre hoffnungsvoll leuchtenden Augen begannen wieder ängstlich zu flackern. Die letzten Gespräche sackten in sich zusammen und erloschen wie die Stoffreste in ihren rostigen Dosen.
    Fritz zwang sich weiterzutrinken, obwohl das aufgetaute Bier widerlich schmeckte. Irgendetwas in ihm war zutiefst davon überzeugt, dass sie hier nur rauskommen würden, wenn sie fest daran glaubten, also mussten sie daran glauben, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Obwohl ihm speiübel

Weitere Kostenlose Bücher