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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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sich den eige nen Leuten ergeben. Eine Panzergranate riss ihr den Kopf ab; sie machte noch zwei, drei Schritte, bevor sie in den Schnee fiel.
    Gross lag ebenfalls im Schnee, und er lebte noch. Seine Hand hielt eine andere, und an dieser Hand war ein Arm, sonst nichts. Der Rest des Unteroffiziers, den er aus seinem Loch hatte ziehen wollen, befand sich unter einer Panzerkette, die ganz nah an ihm vorbeirasselte. Er starrte in maßlosem Erstaunen auf die Hand, und es war weniger ein Erstaunen üb er den abgetrennten Arm, als darüber, dass aus den kraftlosen Fingern eine lähmende Angst in seinen Körper floss. Er war unfähig, auch nur die kleinste Bewegung zu vollführen, und die Lähmung übertrug sich auf alles Geschehen ringsum: auf die Panzer, die vorbeihastenden Stiefel der Flüchtenden, selbst auf die Schneeflocken in der Luft. Das alles blieb mit einem Mal stehen, und ihm war, als sei er bei lebendigem Leib in den Schnee genagelt worden.
    Er riss den Mund auf zu einem letzten Schrei, und der Schrei löste die Lähmung, er konnte seine Glieder wieder bewegen, rollte zur Seite, sprang hoch wie ein Automat, seine Hände drückten eine Hafthohlladung gegen eine dröhnende Panzerflanke, und er riss die Zündschnur ab. Er stolperte weg, nur weg, warf sich in den Schnee und wartete auf die Detonation.
     
    Hans kroch ohne jegliche Ori entierung durch den Schnee. Zitternd rollte er vor einem Panzer zur Seite, erwischte zufällig die andere Richtung als die Kugeln der beiden aufgesessenen Grenadiere, kniete hin und schoss sie mit mechanischer Bewegung vom Heck. Dann sprang er wieder hoch und lief dem Panzer nach, ohne zu wissen, warum. Er wollte sich wieder fallen lassen, aber er konnte nicht, er musste weiterlaufen, in der einen Hand die MPi, in der anderen die geballte Ladung.
    Der Panzer blieb stehen, dann drehte er auf der Jagd nach neuen Opfern scharf nach links. Hans st olperte keuchend auf ihn zu. Jedes Gefühl für Vorsicht hatte ihn verlassen, wäre auch sinnlos gewesen. Er hatte Glück, und das war das einzige, was hier noch zählte.
    Er erreichte ein Metallgitter, ließ die MPi fallen, fasste nach einer Strebe, zog sich hoch, wollte weiter, doch die bloße Haut klebte wie festgewachsen an der Strebe. Er riss sich los und ließ einen breiten Streifen Haut an der Strebe zurück. Er hangelte sich weiter, riss mit Zähnen die Zündschnur ab, schob die geballte Ladung zwischen Turmheck und Aufbau und sprang ab. Erst da begann die verletzte Hand zu schmerzen.
    Verschwommen sah er, wie der Turm des Panzers im Blitz der Detonation schräg in die Höhe flog. Die ganze Welt bestand nur noch aus Metall. Das Brennen in seiner Hand wurde zum Glühen, sodass er glaubte, sie würde schmelzen, flüssiger Stahl tropfte in sein Blut und verwandelte es in Metallspäne, die seine Adern der Länge nach aufschlitzten. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
     
    Die zwei MGs hatten inzwisc hen die zweite, den Panzer nachrückende Infanteriewelle unter Feuer genommen. Die toten Leiber im Halbkreis vor Fritz’ MG häuften sich. Ironischerweise hatten die feindliche Artillerie und die Panzer bisher sogar seine Sandsäcke verschont.
    Plötzlich spürte er, wie der Schnee unter ihm zitterte, gleichzeitig wurde ein tiefes Dröhnen im Hämmern seines MGs laut. Er starrte auf das mit gefallenen russischen Infanteristen übersäte Feld, dann riss ihm ein schrecklicher Verdacht den Kopf um hundertachtzig Grad herum. Er hatte recht. Mit einem verzweifelten Satz sprang er kopfüber zur Seite, während ein russischer Panzer von hinten kam und das MG und die Schützen zwei und drei unter sich zermalmte.
    Der Panzer verschwand im Bodendunst, und seine Silhouette sah nach wenigen Metern wieder völlig harmlos aus.
    Fritz wunderte sich, dass er auf dem Bauch lag und trotzdem alles sehen konnte. Dann erst begriff er, dass sein Hals immer noch verdreht war und sein Kinn praktisch auf der Schulter lag. Es war ihm unmöglich, den Kopf zu bewegen. Das MG war am Arsch, und er war dem Angriff einer neuen Welle feindlicher Infanteristen ausgesetzt.
    Er rappelte sich auf, taumelte wie blind zur Seite in die Richtung eines rauchenden Panzerwracks, stolperte, fiel, kämpfte sich hoch, taumelte weiter, erreichte mit schmerzendem Nacken das Wrack, wo er neben dem verkohlten Panzerführer auf die Knie fiel und mit beiden Händen und vor Schmerz aufschreiend sein Gesicht mit aller Gewalt wieder nach vorn drehte. In seinem Hals krachte es, dann pendelte sein Schädel

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