Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Einsatz an der Front«, fügte er rasch hinzu, und ein jungenhaftes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Wollen Sie ihn mal ausprobieren? Vollblüter, enorm sprintstark. Hab ihn in Charkow aufgetrieben. Macht mir Freude.« Er hielt Hans die Zügel hin.
Doch der schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
Die Realitätsblindheit des jungen Offiziers war so unglaublich, dass man ihm nicht einmal böse sein konnte. Sie waren alle am Verhungern und Erfrieren, und er insistierte auf einem Proberitt!
Fritz drängte sich nach vorn. »Sagen Se, Herr Hauptmann, ham Sie zufällig ’ne Kippe für mich? Äh, ich mein ’ne Zigarette?«
»Aber natürlich!« Der Hauptmann beeilte sich, ein silbernes Etui hervorzuzaubern, und reichte es großzügig herum. »Hier, nehmt nur, Männer. Wenn ich das gewusst hätte. Ich hab erst gestern Nachschub bekommen.«
Der Hauptmann holte zwei Zuckerstücke aus der Tasche und wollte sie seinem Pferd geben. Er bemerkte die hungrigen Blicke, die sich auf seine Hand richteten, und steckte den Zucker verlegen Fritz zu. »Herr Leutnant«, sagte er dann mit belegter Stimme, »Sie haben da eine prima Truppe. Wir werden es bestimmt schaffen. Auf Wiedersehen.« Er schwang sich in den Sattel und verschwand wie ein Trugbild im Nebel. Hans erschien es wie ein letzter, endgültiger Abschied von sich selbst.
»Kommt, Leute!«, kommandierte er mit müder Stimme.
Sie schleppten sich weiter auf da s Dorf zu. Fritz und Rollo teilten sich den Zucker.
58
Z wischen den ersten halb verfallenen Lehmkaten hörten sie plötzlich deutsche Kommandorufe. Sie glaubten, ihren Augen nicht mehr trauen zu können, als sie um eine Ecke bogen und sahen, wie ein alter Feldwebel in Wickelgamaschen eine Gruppe von dreißig oder vierzig Soldaten auf einem glatt getrampelten Platz zwischen den Bauernkaten in bester soldatischer Tradition schliff. Bei einigen Landsern kam beinahe so etwas wie Rührung auf. Die anderen hofften angesichts der Proportionen des Feldwebels endlich auf etwas zu fressen.
»Stillgestanden!«, kommandierten die Gamaschen. »Richt euch! Augen geradeaus! Und wenn jetzt zwanzig Weiber vorbeilaufen, da zuckt nicht mal ein Gedanke!«
Nachdem er diese recht unwahrscheinliche Befürchtung hinsichtlich der Ablenkungsmöglichkeiten seiner Untergebenen geäußert hatte, eilte er schnaufend über den Platz, ließ vor Hans die Hacken knallen und die rechte Hand halbkreisförmig zur Mütze zucken. Es handelte sich bei ihm um den Hauptfeldwebel Schmidt, Angehöriger ihrer neuen Division, zweites Ausbildungsbataillon, ehemalige Bäckereikompanie.
Hans, erleichtert, den richtigen Mann gefunden zu haben, teilte ihm mit, dass er Befehl habe, vierzig Mann von ihm zu übernehmen, um vor Borodkin den Frontabschnitt zu stabilisieren.
»Jawoll, Herr Leutnant!«, bellte Schmidt. »Wir sind mit der Grundausbildung beinahe durch.«
Hans bemühte sich darum, zumindest ein wenig Anerkennung zu heucheln, dann verlangte er für sich und seine Männer etwas zu essen. Die Beflissenheit des Feldwebels verwandelte sich in tiefen Kummer. Er würde ja gern, aber man habe selber nichts, und das wenige, das man noch habe, müsse er auf strikten Befehl zurückhalten, und außerdem …
Hans richtete den Blick demonstrativ auf Schmidts Bauch, doch ehe der Feldwebel vorbringen konnte, dass dessen Umfang allein auf eine seltene Drüsenerkrankung zurückzuführen sei, klang eine ängstliche Stimme auf.
Sie gehörte einem der Soldaten der Ausbildungskompanie, der es entgegen aller Vorschriften wagte, das Wort ungefragt an einen Vorgesetzten zu richten. Schmidt sprang ihn mit vorquellenden Augen an. »Maul halten, Sie Stinkstiefel! Sie reden nur, wenn …«
Der Leutnant, der hoffte, von dem Mann etwas über die Essensvorräte zu erfahren, unterbrach den Feldwebel ungeduldig. »Schon gut. Treten Sie vor. Reden Sie. Was gibt’s?«
Der Soldat machte einen Schritt nach vorn, stand stramm, wie man es ihm beigebracht hatte, und starrte den Leutnant an wie ein junger Hund, der Schläge erwartet. »W-wir si-sind alle nur Bäcker«, stammelte er. »Sie können uns nicht a-an die Front schicken, Herr Leutnant. V-von uns hat noc h keiner ein Maschinengewehr bedient oder eine Handgranate geworfen. W-wir können nur Brot backen …«
»Ruhe!«, brüllte der Feldwebel so laut, dass ihm seine Stimme kurzzeitig entglitt. »Herr Leutnant, ich habe den Leuten in der kurzen Zeit eine optimale Ausbildung zuteil werden lassen und
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