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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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man sie vielleicht nie. Er prostete Hans mit dem leeren Glas zu. Der hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. In diesem Raum war ich noch nie besonders stark, dachte er und hielt sich an einem Stuhl fest. Mit schwacher Stimme bat er um ein Stück Brot.
    Der General scheuchte seine Leute beiseite, bestand darauf, Hans eigenhändig von seinem Teller zu füttern, und schüttete den größten Teil der Pferdesuppe über den Boden. »Schmeckt sowieso beschissen. Gibt nachher was Besseres. Feiern doch Abschied, Abschied von unserer Hütte.«
    Hans musste sich beherrschen, um nicht niederzuknien und die Suppe vom Boden zu lecken.
     
    Der I a, Major von Lausitz, betrac htete angewidert die drei Frontgestalten. Verdreckte Uniformen, niedere Gesinnung, unsoldatische Haltung, übertriebene Zurschaustellung von Hunger und Leid. Er sah den Bazillus, der drohte, den stählernen Körper der Wehrmacht zu zersetzen, den Grund für die drohende Niederlage. Wie sollte man mit diesem Menschenmaterial eine Schlacht oder gar einen Krieg gewinnen? Sein vielsagender Blick traf Rettenbacher.
    »Der Alte hat mal wieder sein proletarisches Herz entdeckt«, sagte er leise. »Vielleicht nicht übel, so ein kleines Ventil fürs schlechte Gewissen. Kulminiert sonst nur in größeren Dummheiten. Schon von Stellwang gehört?« Stellwang war der Verpflegungsoffizier. Rettenbacher spielte öfter mit ihm Schach. Stellwang gewann meistens. »Hat sich heute Nachmittag ’ne Kugel verpasst. Mitten im Quartier. Ihr Schachspiel können Sie vergessen. Meine Fotosammlung ist auch hin. Verdammte Sauerei!«
    »Steht es denn …?« Unter dem Blick des I a musste Rettenbacher schlucken. »Steht es denn schon so schlimm, dass man …?«
    »Ach, was!«, schnitt ihm von Lausitz das Wort ab. »Was wollen Sie von einer Memme erwarten, die den ganzen Tag Blockflöte spielt? Kirchenlieder, und die auch noch falsch. Da muss man ja hysterisch werden.«
    Er brach ab, da Hentz die Absic ht bekundete, die drei Frontsoldaten mit Orden zu behängen, die er einer Pappschachtel entnahm.
    »Ihr wart doch alle fürs EK I vorgemerkt? Hier!«
    Rollo vergaß für einen Moment den Schmerz in seinen Gedärmen. Hentz schüttete aus der Tüte gut zwanzig Eiserne Kreuze auf den Tisch. »Die anderen Anwärter weilen nicht mehr unter uns.« Hentz unterdrückte einen Schluckauf. »Von mir aus könnt ihr sie alle haben. Ein verspätetes Weihnachtsgeschenk.«
    Von Lausitz sammelte die Kreuze ein, ehe sich Rollo bedienen konnte. »Herr General belieben wieder einmal zu scherzen.« Sein Lächeln war noch eine Spur dünner als sonst.
    »Was denn?«, rief Hentz. »Der Führer hat einem Kollegen von mir fünfzig Panzer zu Weihnachten geschenkt. Ich verschenke nur Eiserne Kreuze!«
     
    Fritz hatte sich einen der Teller geschnappt und schlürfte die warme Suppe. Die kümmerlichen Kalorien weckten erneut seinen Verstand und seinen Lebenswillen. Es bestand die Gefahr, dass Musk hier aufkreuzte, und der stellte bestimmt unangenehmere Fragen als dieser besoffene General. Angeblich sollte es ja noch mehr zu essen geben. Er wog ab, was besser war, ein hungriges Weitervegetieren draußen in der Kälte oder eine warme Mahlzeit mit anschließender Exekution. Er entschied sich für das Essen.
    Hentz verlangte inzwischen nach Stellwang, seinem I b, der, wenn er schon unfähig sei, für genießbare Lebensmittel z u sorgen, wenigstens die Tafelmusik annehmbar gestalten solle. Nachdem Hentz von dessen traurigem Ende erfahren hatte, wurde eine Gedenkminute eingelegt, und von Lausitz sprach ein kurzes Gebet. Anschließend schlug der General Hans auf die Schulter.
    »Der Gute Oberst von Wetzland hat mir des Öfteren von Ihrem Geigenspiel vorgeschwärmt. Spielen Sie uns doch was Flottes. Von Lausitz, Ihre Geige!«
    Hans starrte hilflos das Instrument an, das kurz darauf in seinen Händen lag, Hände, die unfähig waren, auch nur einen einzigen Finger ordentlich abzubiegen. Von Lausitz, um den Wertbestand seines Instruments fürchtend, gab den sarkastischen Rat, die Geige vielleicht doch mit einer MPi zu vertauschen. Rettenbacher sog angewidert den Geruch ein, der den langsam auftauenden Lumpen des Leutnants entströmte. Von Lausitz, der sich nicht traute, dem Leutnant sein Instrument aus der Hand zu reißen, obwohl bereits Schnee auf den sorgfältig komponierten Klarlack tropfte, ging substituierend Rollo an. »Nimm wenigstens hier drin die Russenmütze ab! Siehst damit ja aus wie ein Schimpanse!«
    Rollo

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