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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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neues Papier flatterte in seinen Händen. »Gestern, von Manstein, Vortrag beim Führer. Armeegruppe A planmäßig durch Flaschenhals bei Rostow entkommen. Bitte um Kapitulation sechste Armee!« Seine Augen flimmerten wie zwei kleine Tümpel in einem roten Gebirge. »Abgelehnt! Es ist eine moralische Notwendigkeit, dass wir geopfert werden!« Er riss das Hitlerbild von der Wand. »Unser Efendi! Sieht er nicht aus wie ein osmanischer Teppichhändler? …« Er verlor den Faden und sah sich Halt suchend um. Seine Untergebenen musterten verschämt die Dielen. »Mit gehorsamstem Gruß, wir verrecken«, murmelte Hentz. Sein Blick fiel auf den Ofen. »Mir ist schon wieder kalt!« Er wollte das Führerbild in den Ofen befördern.
    »Herr General«, flüsterte Rollo, der einfach nicht glauben konnte, was er hier sah. »Nicht den Führer!«
    Von Lausitz gelang es, Hentz die Fotografie aus der Hand zu winden.
    Rettenbacher zuckte hilflos mit den Schultern. »Wieder völlig besoffen.«
    »Genau!«, schrie Hentz, der es gehört hatte, riss seinem I a das Foto aus der Hand und stopfte es ins Feuer. »Mir ist kalt!«, brüllte er. »Und ich heize mit was ich will!« Kopfschüttelnd starrte er in die Flammen. »Über zweihunderttausend deutsche Soldaten sind in dieser verfluchten Stadt bisher verreckt. Nicht gefallen. Verreckt. Wie viel sollen es noch werden?«
    Rettenbacher, angetrieben vom I a, versuchte seinen Wortschwall zu stoppen. »Herr General, das ist streng vertraulich …«
    »Ich habe versagt!« Mit einer erstaunlich schnellen Bewegung schlug der General Rettenbacher dessen noch gefülltes Kognakglas aus der Hand. »Ist das auch vertraulich? Ja? Ich habe versagt …« Er sank auf einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hände. »Ich habe den Führer gewählt, vor zehn Jahren. Damals war es ein Kreuz auf dem Stimmzettel. Jetzt ist es ein Kreuz in Stalingrad.« Er stierte seine Leute betrunken an. »Sollte einer versuchen, mich vors Kriegsgericht zu bringen, werde ich sagen, ich habe den Führer verbrannt, damit er das Elend hier nicht mehr mit ansehen muss.«
     
    Eine schneebestäubte Gestalt stolperte in den Bunker. Ausgerissene Taschen, aufgerissene Augen. Es war Hauptmann Musk.
    »Panzer durchgebrochen! Zwei Fahrzeuge. Richtung Kolchose! Dahinter noch mehr …«
    »Blödsinn!«, fuhr von Lausitz auf. Die Russen waren vor Goncara, über fünfzehn Kilometer weit entfernt.
    Zwei schmetternde Explosione n belehrten ihn eines Besseren.
    Alles stürzte durcheinander. Kleidungsstücke und Koffer flogen durch die Gegend. Von Lausitz stauchte die Melder zusammen, die keine Verbindung herstellen konnten, dann bekam er die Verbindung, forderte Reserven an und befahl, die Fahrzeuge fertig zu machen, Sprit aus geheimen Beständen einzufüllen. Akten, Karten, Kerzen, Lebkuchen wurden zusammengerafft.
    Zwischendurch hastiger Beric ht von Musk: Nächtlicher Panzerangriff bei Goncara; Masse der Fahrzeuge konnte bei Gumrak im Nahkampf gestoppt werden; Kampfgruppe Musk, Kampfgruppe Keil aufgerieben.
    Ein junger, bleichgesichtige r Leutnant konnte seine Uniformjacke nicht finden und wollte sich mit bloßem Hemd in die Schlacht werfen. Als niemand ihn davon abhielt, brach er mit einem Weinkrampf auf seinem Koffer zusammen.
    Der General betrachtete das alles , als ginge es ihn nicht das Geringste an. Langsam bückte er sich und hob ein von vielen Stiefeln zerknittertes Blatt auf. Es war seine Studie über einen Ausbruch aus dem Kessel.
    Fritz versenkte die letzten Hundeknochen in seiner Tasche und zog Rollo und Hans hastig zur T ür. Musk war erschöpft, mit hängendem Kopf, auf einen Stuhl gesunken. Sie mussten an ihm vorbei. Als Hans für einen Augenblick vor ihm stand, konnte er nicht verhindern, Mitleid mit der zusammengesunkenen Gestalt zu empfinden.
    Im selben Moment sah Musk h och. Sein Blick lähmte den Leutnant, doch Fritz riss ihn weiter. Undeutlich hörten sie die Stimme des Hauptmanns. Schüsse. Sie stolperten nach oben, an den kältestarren Wachen vorbei und weiter in die Dunkelheit.
     
    Der General starrte fassungslos Musk an, der noch einmal in den Eingang feuerte, ehe Hentz ihn anbrüllte und eine Erklärung verlangte.
    »Herr General«, keuchte Musk, »die drei sind aus meiner Einheit. Deserteure!«
    Er hatte alles vergessen, seine Er schöpfung, die Kälte, die russischen Panzer. Er wollte nur eins – diese Männer bestrafen, die ihm ihr Wort gegeben, ihn getäuscht, seine Einheit entehrt, ihn im Stich gelassen

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