Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
grapschte sich verlegen die speckige Fellmütze vom Kopf. Der General, ein frischgefülltes Glas Wein in der Hand, drückte sie ihm wieder auf den Schädel. Der Mosel brachte ihn in Fah rt. Vehement verteidigte er seine Frontsoldaten gegen die schlappen Schreibstubenhengste des Stabes. Jeden Krieg, versprach er, würde er mit ihnen gewinnen, wenn es nur nicht diesen allseits geliebten Führer, diesen Vollarier gäbe. Der Wein machte ihn mutig. Er sprach Vollarier wie Vollidiot aus. Dann schloss er erneut Fritz und Rollo in die Arme. Die Wärme einfacher Menschen, das war es, was ihm fehlte!
Er forderte den Leutnant zu m Spielen auf. Keine Weihnachtslieder, was Flottes!
Von Lausitz überlegte, wie er nicht nur seine Violine, sondern auch die Gesamtsituation retten konnte, ohne von diesem unberechenbaren Alkoholiker an die Front versetzt zu werden.
Hans starrte das Instrument in seiner Hand an. Spätsommernachmittage. Zum Garten geöffnete Fenster. Windgebauschte Gardinen. Ein dunkles Klavier. Auf den Tasten ihre schmalen weißen Hände. Sie hatte sehr schöne Hände gehabt, nur die Daumen waren etwas zu dick gewesen, fast wie große Zehen, an der falschen Stelle des Körpers angewachsen. Ihre Hände hatten ihn immer gerührt, besonders beim Klavierspiel, wie sie mit mehr Gefühl als technischem Können über die Tasten glitten. Ihre Hände. Sie waren das Einzige, woran er sich noch genau erinnern konnte. Der Rest war verlorengegangen.
Er trat an den Ofen, öffnete die Klappe und warf die Geige in die Flammen. Ohne auf die Aufregung zu achten, die er dadurch verursachte, betrachtete er seine schwarz verfärbten, steifen Finger. Durch die Flammen sah er immer noch ihre Hände. Sie lösten sich langsam auf.
Der General dämpfte wortgewaltig die allgemeine Empörung, die durch die Zerstörung eines we rtvollen Musikinstruments ausgelöst worden war. Es gönnte seinem I a den Verlust von Herzen und forderte den jungen Leutnant, dessen Grad der Verzweiflung er nicht im Geringsten wahrnahm, gut gelaunt zum Essen auf. Zwei Ordonnanzen platzierten einen im Silbertablett dampfenden Braten auf dem Tisch. Dazu wurden gekochte Kartoffeln und eingemachtes Gemüse gereicht. Fritz und Rollo glaubten zu träumen.
Hentz trat an den Tisch, betrachtete nachdenklich den Braten und sprach: »Oswald, du warst immer ein guter Hund. Bis zuletzt!« Er klappte die Hacken zusammen, riss den Arm hoch. »Heil Hitler!«
Nachdem er seinem Hund diese letzte Ehre erwiesen hatte, nahm er sich, wie in besseren Tagen vom Fasan, von Brust und Schenkel, dann reichte er das Tranchierbesteck an seinen Nachrichtenoffizier weiter und sagte: »Rettenbacher, aus Gründen der Pietät müssen Sie das jetzt übernehmen.« Kauend fügte er hinzu: »Meine Frau darf übrigens nie erfahren, was mit dem Hund passiert ist.«
Der I c versprach Diskretion. Nach kurzer Zeit war von dem Hund nicht mehr viel übrig. Kaffee und Kog nak wurden in bescheidenen Mengen gereicht, um die durch übermäßige Belastung angegriffenen Mägen zu beruhigen.
Hentz griff in die Rocktasche und suchte nach einem Taschentuch, um sich das Gesicht abzuwischen. Er fand einen Zettel, der in fehlerhaftem Deutsch zum Überlaufen aufforderte. Der Zettel war neueren Datums und dem General vom I a zum Beweis der unerhörten Zunahme russischer Propaganda im Kessel übergeben worden. Soldaten, die solche Zettel nicht bei ihrer vorgesetzten Dienststelle ablieferten, wurden erschossen. Das war auch mit dem unglücklichen Besitzer dieses Exemplars geschehen.
Hentz verglich die Portionen, die in dem Schreiben jedem Überläufer versprochen wurden, mit seinem Abendessen und rülpste zufrieden. Er wischte sich damit den Mund ab, besann sich auf ernstere Dinge, zog den Leutnant, der wider Erwarten keinen Appetit gezeigt hatte, mit sich zum Kartentisch und wühlte unter Papieren. Wo waren seine Ausbruchsoperationen, vor Monaten bis ins Detail ausgearbeitet und dem Oberkommando zugeleitet? Von Lausitz versprach, sie herauszusuchen, und verdrehte hinter seinem Rücken die Augen. Er würde Stunden brauchen, um den Schreibtisch wieder in Ordnung zu bringen!
Hentz wühlte ein anderes vertrauliches Schreiben heraus und hielt es Hans unter die Nase. »Ka pitulationsaufforderung der Russen, neunter Januar. Abgelehnt!« Seine Stimme schwankte. »Es war eine operative Notwendigkeit. Die Chose mit dem Südflügel, Sie wissen schon. Verstehen wir alles, wir sind ja denkende Menschen. Und was ist das?« Ein
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