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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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hieß die knappe Antwort.
    Selbst Pflüger war einer Meinung mit von Wetzland, wagte es aber nicht, etwas Entsprechendes zu äußern. »Wo ist Wölk?«, fragte er stattdessen.
    Rollo verzog verächtlich das Gesicht. »Sitzt in ’nem Keller und fickt die Gasuhr.«
    Genau so hatte Pflüger sich das vorgestellt. »Diese Pisser von der Infanterie …«
    Er wurde von einer neuen Serie russischer Granateinschläge unterbrochen, die, etwas zu kurz geraten, in den von ihren eigenen Leuten besetzten Block einschlugen, anschließend erneut den Platz umpflügten und das zweite und letzte Sturmgeschütz durch Volltreffer ausschalteten.
    Musk schleuderte sein überflüssig gewordenes Mikrofon und die Kopfhörer von sich. Wölk und einige Normalinfanteristen sanken erschöpft in den Dreck. Wölks Backen zuckten noch heftiger als gewöhnlich.
    »Wo sind Ihre anderen Leute?«, fuhr ihn Musk scharf an.
    Wölk hatte sichtlich Mühe, genügend Luft zu bekommen. »Elf Verletzte in dem Haus dort hinten, wenn die Russen sie noch nicht erwischt haben, der Rest aus, alle hin!«, keuchte er. »Vierte Kompanie besteht noch aus vierundzwanzig Mann. Leutnant Hengst, Feldwebel Färber, Unteroffizier Gruschko gefallen.« Zornig musterte er Pflüger und Rollo. »Zu was haben wir eigentlich Sturmpioniere? Abknallen lassen können wir uns auch allein!«
    Rollo verlor die Beherrschun g, packte ihn wütend am Kragen.
    »Halt bloß dein Maul! Meinst du, uns geht’s besser?«
    Musk ging kurz und entschlossen dazwischen. »Aufhören! Wölk hat recht! Davon, dass ihr eine Eliteeinheit seid, hab ich noch nicht viel gesehen. Vorwärts!«
    Das wollte keiner auf sich sitzen lassen. Hinter Musk stürmten die Reste der Pionierzüge noch einmal vergeblich gegen das linke MG-Nest. Von Wetzland und F eldmann wählten denselben Trichter als Deckung. Das Weiße ihrer Augen schillerte übergroß in den dreckverschmierten Gesichtern.
    Gleichgültig besah sich Hans eine menschliche Ruine, deren Beine über den Trichterrand baume lten. Sie erregte nicht mehr Gefühl in ihm als die zerschossenen Häuser im Hintergrund. Er sah, dass Feldmann seine Hand umklammert hatte, fühlen konnte er es nicht. Obwohl sie noch lebten, waren sie längst ein Teil des Todes geworden. Die Granaten und Kugeln zerfetzten nicht nur ihre Leiber, sondern auch ihre Sinne und ihren Geist. Verschlangen mit brüllendem Hunger alles, was ihnen vor die Mäuler geriet, spien es wieder aus und türmten es in grotesken Verrenkungen und Verzerrungen aufeinander. Stahl und Steine regneten auf sie herab. Sie waren ein Teil der Trümmer, und die Trümmer waren ein Teil von ihnen.
    Musk ließ weitere Nebelkerzen werfen. Er wusste genau, bei einem erneuten Vorgehen gegen das MG-Nest würden nicht mehr genügend Männer übrig bleiben, um auch nur den Flur des Büroblocks zu besetzen. Er warf sich zwischen Feldmann und von Wetzland. »Jetzt kommt es auf Sie an, Feldmann. Jetzt können Sie alles wiedergutmachen.«
    Feldmann starrte auf die Stiefelspitzen des gefallenen deutschen Infanteristen. Dessen Blut war bereits getrocknet. Wie aus weiter Ferne hörte er Musks Stimme.
    »Sie wollen doch, dass Ihre Frau stolz auf Sie sein kann, wenn Sie nächste Woche nach Hause kommen.«
    Feldmann nickte, legte sein Sturmgepäck ab. Er zwang sich, nicht in die Hose zu urinieren. Hans sah den Blick in seinen Augen und begriff, dass Feldmann einen stummen, verzweifelten Abschied von ihm nahm. Plötzlich fühlte e r seine Empfindungen wie aus einem lähmenden Albtraum emporschrecken.
    »Lassen Sie mich gehen, Herr Hauptmann!«
    Musk hob unmerklich die Augenbrauen. »Was sagen Sie dazu, Feldmann?«
    Feldmann schüttelte den Kopf. Seine Stimme klang überraschend fest; ein oberflächlicher Betrachter hätte Todesmut und Tapferkeit heraushören können. »Nein. Ich g ehe. Ich werde Sie nicht enttäuschen, Herr Hauptmann.«
    »Das weiß ich. Wir geben dir Feuerschutz, Junge.«
    Mit hölzernen Bewegungen band Feldmann drei Stielhandgranaten zu einem Bündel zusammen, schraubte einen der Deckel ab, steckte den Mittelfinger durch den Abzugsring.
    Musk schaute schweige nd zu, bis Feldmann fertig war.
    »Lauf!«
    Unter dem Feuerschutz seiner Kameraden rannte Feldmann durch den Nebel auf den Keller zu. Eine Kugel durchschlug seine Schulter, warf ihn halb herum, doch er fing sich, lief weiter, taumelte vorwärts, direkt auf das MG-Mündungsfeuer zu. Kurz davor riss er die Zündschnur ab, rutschte durch die Schießscharte in den

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