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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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die Arme an der Trage lang, Rollo und Gross übernahmen.
    Sie erreichten eine größere Straße, die an einer Eisenbahnlinie entlangführte. Hupende Lkws wurden von einer Kolonne Sturmgeschütze rücksichtslos auf die Böschung gedrängt. Pferdegespanne mit schreienden und wild fluchenden Kutschern wichen aus. Ein Planwagen, beladen mit Verwundeten, kippte vom schmalen Kamm des Bahndamms und warf seine blutende Last unter die Hufe der Pferde.
    In einem Graben lag in la nger Reihe wild übereinander geschichtet eine Vielzahl Verwundeter. Auf Rumänisch riefen sie um Hilfe und verfluchten ihre deutschen Waffenbrüder, die sie in Panik vor einem russischen Durchbruch einfach hatten liegen lassen.
    Der Leutnant packte einen vorbeihastenden Panzergrenadier am Arm. »Was ist denn hier los?«
    »Was weiß ich! Die Russen sind irgendwo durchgebrochen. Ich glaub, bei den Scheißrumänen …« Er riss sich los und lief weiter.
    Rollo warf einen kurzen Blick auf Herbert. »Weiter, sonst war die ganze Schinderei umsonst.«
    Sie erreichten die Verwundetensammelstelle, eine ehemalige Maschinenhalle. Vor den Zugängen stauten sich Sankas und behinderten sich gegenseitig. Feldgendarmerie versuchte Ordnung zu schaffen.
    Erschöpft stolperten sie mit ihrer Trage eine Treppe nach unten.

 
     
     
     
     
     
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    D er Gang erstreckte sich wie ein langer, düsterer Fluss vor ihnen. Auf dem Boden lag eine Unzahl Verwundeter auf Tragen, Zeltplanen oder auf nacktem Stein. Sanitäter brachten laufend neue hinzu. Ein ständiges schrilles Schreien, das auf- und abschwoll, die Stimmlage und den Besitzer wechselte, wurde unterlegt von einem murmelnden Stöhnen, Wimmern, Weinen und Schluchzen. In Augenblicken allgemeiner Erschöpfung gab es auch leise Perioden. Gebete und im Wundfieber gemurmelte Monologe, Worte, denen keiner zuhörte.
    Rollo und Fritz stellten Herberts Trage nur zögerlich ab. Es kam ihnen vor, als hätten sie das Todesurteil über ihn gesprochen.
    Bubi rief verzweifelt nach einem Sanitäter. Die Träger schenkten ihm nicht einmal einen Blick. Ein abgerissener Soldat, der neben seinem in blutige Notverbände gepackten Kameraden kniete, verfiel in unkontrolliertes Gelächter; selbst Rollo ging es durch Mark und Bein.
    »Sei ruhig!«, fuhr er Bubi an. »Du regst sie nur auf.«
    Herbert schlug plötzlich die tief in den Höhlen liegenden Augen auf, seine Hände tasteten suchend umher, klammerten sich an Fritz.
    »Erschieß mich«, flüsterte er. »Bitte, Fritz, erschieß mich doch …« Sein eingefallenes Gesicht verzerrte sich, und sein Mund torkelte von Schrei zu Schrei.
    Fritz schloss die Augen, presste die Hände auf die Ohren und konnte es trotzdem nicht aushalten.
    Ein neuer Lkw fuhr am Eingang vor. Die Verwundeten wurden wie Säcke auf die Ladefläche gewor fen. Einige versuchten mit eigener Kraft aufzusteigen, wurden aber von den Sanitätern zurückgedrängt.
    »Wo fahrt ihr hin?«, fragte Hans den Fahrer. »Lazarett Goroditsche.«
    Sie trugen Herbert zu dem Lkw, um den sich bereits eine Menschentraube gebildet hatte.
    Plötzlich versperrte ihnen Oberl eutnant Haller den Weg. Sein Gesicht, das normalerweise den Eindruck eines stets beflissenen Unter gebenen vermittelte, war rot vor Angst und Wut. »Was tun Sie denn hier, verdammt noch mal?«, brüllte er den Leutnant unbeherrscht an. »Wer hat Ihnen erlaubt, Ihre Stellung zu verlassen?«
    Hans war zu erschöpft, um etwas zu sagen. Er versuchte sich wortlos an Haller vorbeizuschieben.
    Haller packte ihn am Arm. »Sie bleiben hier! Sie und Ihre Männer werden Feldwebel Kolb sofort bei einem Gegenstoß unterstützen! Los, stellt die Trage ab!«
    Hans brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was da von ihm verlangt wurde. Langsam schüttelte er den Kopf.
    »Soll das heißen, Sie verweigern einen Befehl?«
    Hans schwieg. Er wollte keinen Befehl verweigern, aber er wollte auch nicht mehr nach vorn, und schon gar nicht wollte er einen Schwerverwundeten, den sie unte r Lebensgefahr aus dem Feuer geschleppt hatten, einfach im Dreck liegen lassen, wo er mit Sicherheit sterben würde. Eigentlich wollte er sich nur hinlegen und schlafen.
    Haller drehte sich zu den ander en um. »Stellt die Trage ab! Antreten!«, schrie er Gross und Rollo an, die sich mit Herbert zur Ladefläche des Lkws durchzukämpfen versuchten.
    Hans fiel plötzlich ein, was ihm der russische Junge erzählt hatte. Er dachte an Saschas Mutter, die in ihrem Haus verbrannt war, und wunderte sich, wie

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