Stalins Geist
Arkadi.
Die Musik setzte wieder ein; ein wummernder Bass ließ den Raum erbeben, und die Tänzerinnen rankten sich an verchromten Stangen hinauf.
»R-E-S-P-E-C-T. Ich liebe diesen Song«, sagte Pacheco. »Irgendwie glaube ich, Sie haben die Pointe verpasst«, stellte Arkadi fest.
»Auf den Beat kommt es an«, behauptete Pacheco. »Gibt’s eigentlich gute mongolische Liebeslieder? Zum Beispiel an das Lieblingspferd? »
»Sie sollten Ihren Trauring abnehmen«, sagte Urman. »Warum?«
»Er macht impotent. Nach slawischer Tradition trägt man einen Trauring aus gesundheitlichen Gründen nicht länger als vier Stunden am Tag. Fragen Sie Renko.«
»Ist das wahr?«, fragte Wiley.
»Manche Männer glauben daran. Manche finden, sie sollten überhaupt keinen Ring tragen.«
»Es ist eine wissenschaftliche Tatsache«, sagte Urman. »Der Ring ist ein geschlossener Stromkreis, und der Finger ist ein elektrischer Leiter.«
»Na, dann ist der slawische Schwanz ein empfindlicheres Instrument, als ich dachte«, sagte Pacheco.
»Wo ist Isakow?«, fragte Arkadi.
»Ein Besuch in einem erotischen Club ist dem Image eines Reformkandidaten nicht angemessen«, erklärte Wiley.
»Hat er Dynamik?«, fragte Arkadi.
Wiley war froh, dass er den Blick von der Bühne abwenden und sich in die Politik flüchten konnte. »Dynamik ist alles, was er hat. Er hat keinen echten Parteiapparat hinter sich. Ein Fehltritt, und sein Wahlkampf ist zu Ende.«
»Aber Dynamik hat er«, sagte Urman.
»Er wurde eigentlich nur ausgesucht, damit er der Opposition Stimmen abjagt«, sagte Wiley. »Niemand hat damit gerechnet, dass es mit seiner Kandidatur ernst wird.«
»Er hat eine Chance«, beharrte Urman.
» Wenn er den Wahlkampf mit einem Knall beendet.«
»In den Staaten ist dieser Stangentanz das Neueste im Fitnessstudio«, sagte Pacheco. »Ehrlich.«
Tanja war reinster Sex, um eine Chromstange geschlungen, und in ihrem langsamen Herabgleiten mit gesenktem Kopf lag eine Andeutung von stählerner Härte. Die andere Tänzerin kreiselte um ihre Stange wie ein Dynamo, was etwas kurios Sowjetisches hatte.
»Tanja hat eine klassische Ballettausbildung, aber sie wurde zu groß, um sich von den Männern auffangen zu lassen.« Urman sah Arkadi an. »Na, du hast ja mit ihr gerungen, du weißt Bescheid. »
Pacheco spitzte die Ohren. »Gerungen? Das klingt interessant.«
»Eine wahre Sternstunde«, sagte Arkadi.
»Wir brauchen einen Knall.« Wiley konzentrierte sich auf die Tischplatte. »Ein langfristig angelegter Wahlkampf muss mit einer unmittelbar anrührenden, explosiven Klimax enden.«
»Zum Beispiel?«, fragte Arkadi.
Wiley hob den Kopf. »Es gibt eine Statue der Jungfrau Maria in Twer. Die Menschen schwören, dass sie weint. Sie glauben aufrichtig, dass sie es sehen.«
»Sie wollen die Heilige Jungfrau bei den Ausgrabungen erscheinen lassen?«
»Haben Sie Diet Coke?«, fragte Wiley die Kellnerin.
»Sie kann Harfe spielen, und sie kann strippen«, sagte Pacheco. »Eine talentierte junge Lady.«
»Wenn nicht die Jungfrau, wen dann?«, fragte Arkadi. »An wen haben Sie gedacht?«
»Die Leute sehen, was sie sehen wollen«, sagte Wiley. Die kleinere Tänzerin spähte zwischen ihren Beinen hindurch zu Wiley herüber. Sie hatte kurzes, dunkles Haar und einen Schönheitsfleck. Sie hieß Julia, war dreiundzwanzig, spirituell fortgeschritten, und sie sehnte sich nach einem Mann, der mit beiden Beinen auf der Erde stand. Das wusste Arkadi, weil er ihr Foto und ihre Beschreibung bei Cupido in dem Album mit den heiratswilligen Frauen gefunden hatte.
»Renko kann nichts machen«, sagte Urman beruhigend zu Pacheco. »Er versteckt sich hier vor dem Staatsanwalt, und der Staatsanwalt in Moskau hat ihn verstoßen. Außerdem ist er ein toter Mann.«
»Sie meinen, er wird bald ein toter Mann sein?«
»Nein, ich meine, er ist jetzt schon tot. Er hat eine Kugel in den Kopf bekommen. Wenn so einer nicht tot ist, wer ist es dann?«
»Mir ist aufgefallen, dass Isakow niemals tatsächlich Stalins Namen ausspricht«, sagte Arkadi.
»Warum sollte er?«, sagte Wiley. »Im Moment weiß alle Welt über Nikolai Isakow nur, dass er ein gut aussehender Kriegsheld ist. Alles andere bleibt vage und allgemein patriotisch. Sobald er Stalins Namen ausspricht, wird Stalin ein Thema, und das hat negative Seiten. Unser Job ist es, Isakow und Stalin zusammenzubringen, ohne es auszusprechen.«
»Wie machen Sie das?«
»Bildhaft. »
»Bei der neuen Grabungsstätte? Wenn ich
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