Stalins Geist
Zähne einschlagen könne, und da hörte das Granatfeuer sofort auf. Ich kann dir nur sagen, Arkascha, Nikolai und ich haben uns unter seltsamen Umständen kennengelernt. Vielleicht waren wir da beide das Beste, was wir sein können. Wir waren Menschen, die in der realen Welt nicht existieren konnten. Aber das alles war, bevor ich dir begegnet bin. Es hat nichts mit dir zu tun. Lass dich nicht mit Nikolai ein.«
Etwas raschelte an der Wohnungstür. Arkadi stand auf, zog die Hose an und schaute durch den Türspion. Im Hausflur war niemand, aber auf dem Boden vor der Tür lag ein verschnürter Umschlag. Er knipste eine Lampe an.
»Was ist?« Eva setzte sich auf.
Er riss den Umschlag auf und nahm zwei Hochglanzfotos heraus. Major Agronski hatte geliefert und die Flucht ergriffen.
»Bilder.«
»Wovon? Lass sehen.«
Er brachte sie ans Bett. Das erste Foto war aus ungefähr hundert Metern Höhe aufgenommen und zeigte einen Bachlauf mit einer Steinbrücke und Lieferwagen auf der einen und einem gepanzerten Mannschaftstransporter auf der anderen Seite. Neben dem Transporter brannte ein Lagerfeuer. Das Bild war körnig und maximal vergrößert, aber Arkadi zählte ein halbes Dutzend Leichen rings um das Feuer. Die Tschetschenen trugen Pullover, Schaffellwesten, Wollmützen, Turnschuhe, Stiefel. Fleischspieße, Fladenbrote und Schüsseln mit Pilaf waren zwischen ihnen verstreut. Sechs weitere Leichen lagen mit dem Gesicht nach unten auf der Straße.
Die Schwarzen Barette trugen Vollbärte und eine Mischung aus russischer und Rebellenkleidung, aber die Charaktere schimmerten durch: Urman hielt eine Kalaschnikow und einen Fleischspieß in den Händen, Borodin und Filotow winkten den Hubschrauber weg, Kusnezow lag verwundet am Boden, und Bora trat gegen die Leichen, die Pistole für den Gnadenschuss im Anschlag. Baumwipfel duckten sich im Abwind der Rotorblätter. In einer Ecke hatte die Kamera praktischerweise die Uhrzeit verzeichnet: 13:43. Das zweite Foto - Uhrzeit 13:47 - war fast identisch. Die Leichen rund um das Feuer lagen ein bisschen anders. Das Essen genügte für eine Begrüßung, aber nicht für ein Festmahl. Der Lieferwagen war verschwunden. Urman hatte den Fleischspieß fallen lassen und richtete sein Gewehr auf den Hubschrauber.
»Die Sunscha-Brücke.«
»Ich dachte, das hätten wir hinter uns«, sagte Eva. »Ich hatte ein paar Fragen.«
»Du bist besessen von Nikolai.«
»Ich will nur wissen, was passiert ist.«
»Warum? Das war der Krieg. Willst du alles untersuchen, was in Tschetschenien passiert ist? Ich bin in deinem Bett, aber du bist verliebt in deine Fragen.«
Arkadi wollte das Thema gern fallen lassen, doch ihn hatte eine unwiderstehliche Anziehungskraft erfasst. »Damit die Fragerei aufhört, erzähl mir einfach aus deiner Sicht, was passiert ist. Vergiss den offiziellen Bericht. Was ist an der Brücke passiert? »
»Weißt du, Nikolai war nicht einmal an der Brücke. Mein Motorrad war kaputt, und er fuhr mich auf meinen Runden durch die Dörfer, hauptsächlich, weil man nie wusste, wo die russischen Kontrollpunkte oder wie unangenehm und betrunken die Männer dort waren. Wenn sie dachten, du gehörst zu den Rebellen, vergewaltigten und töteten sie dich. Ein paarmal wäre das passiert, wenn Nikolai mich nicht beschützt hätte. Darum sind wir beide nicht auf diesen Fotos.«
»Isakow hat seinen Posten verlassen, um persönliche Fahrerdienste für dich zu leisten?«
»Vermutlich könnte man es so ausdrücken.«
»Hast du einen der Rebellen erkannt?«
»Als wir zur Brücke zurückkamen, waren sie in Leichensäcken.«
»Du hast sie nie zuvor gesehen?«
»Nein. Ich sage doch, sie waren in Leichensäcken.«
»Dann war Marat Urman der Mann, der an der Brücke das Kommando hatte? Er hat den Kampf geführt?«
»Ich nehme es an.«
»Und die ganze Zeit hat Isakow das Verdienst für Urmans Taten in Anspruch genommen?«
»Er hat die Verantwortung übernommen für den Fall, dass es Probleme geben sollte.«
»Warum hätte es Probleme geben sollen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wenn die Tschetschenen angegriffen haben, warum sind die Leichen auf der Straße von hinten erschossen worden? Warum waren die anderen beim Essen? Wo sind ihre Waffen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hat Isakow die Säcke geöffnet, um sich die Toten anzusehen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hat es Urman gestört, dass ihm die Anerkennung entging?«
»Marat betet Nikolai an.«
»Und die ganze Einheit hat bei der
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