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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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sehen.«
     
    Er hatte sich ein Gespräch vorgestellt, Erklärungen, Äußerungen des Bedauerns.
    Als sie durch die Wohnungstür kam, zog er ihr stattdessen die Jacke aus, drückte Eva gegen die Wand und suchte nach dem Verschluss ihres Rockes, eines voluminösen Zigeunerteils, während sie seine Gürtelschnalle öffnete. Im nächsten Augenblick war er in ihr, vorbei an kühler Haut und in der Glut im Innern. Evas Augen waren weit aufgerissen, als säße sie in einem Auto, das sich in Zeitlupe überschlug.
    »Zieh die Bluse aus.«
    Schon die Art, wie sie die Bluse über den Kopf streifte, war anmutig. Ihre Tschernobyler Narben zerschmolzen, und jede ihrer Konturen war perfekt. Er zog sie zu Boden. Es gelang ihr, den Lampenstecker aus der Wand zu reißen, und im Dunkeln klammerte sie sich an die Schnur wie an eine Rettungsleine. Ihr Hinterkopf schlug mit jedem Stoß auf den Boden, und als er seinen Zorn verausgabt hatte, behielt sie ihn in sich, bis er wieder hart war, sodass er beim zweiten Mal sanft sein konnte.
     
    Zweiundzwanzig
    Ich glaube, Napoleon hat hier geschlafen«, sagte Arkadi. »Das Bett hat ungefähr seine Größe.«
    »Es ist perfekt«, sagte Eva. »Ich hab geschlafen wie eine Katze.«
    Er war immer wieder gefesselt von ihrer Glätte. Im Vergleich zu ihr war er wie Holz, Holz mit Rinde und allem, was dazugehörte.
    »Wie geht’s deinem Kopf?«, fragte sie. » Besser. »
    »Aber Stalin hast du nicht gesehen?«
    »Nein.«
    »Oder seinen Geist?«
    »Nein.«
    »Du glaubst nicht an Geister.«
    »Sie fliegen nicht durch die Luft, aber sie warten.«
    »Warten worauf?«, fragte Eva.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht auf Politikberater.« Er langte zum Boden und füllte die bei den Gläser noch einmal mit dem Bordeaux des Professors. »Heute ist der letzte Tag des Wahlkampfs. Ist Isakow zuversichtlich?«
    »Ja, das ist er, aber ich will nicht über ihn sprechen. Der Wein ist gut.«
    »Französisch. Alles hier ist französisch. Tatsächlich ist sogar unsere Situation außergewöhnlich französisch. Bis jemand stirbt - dann ist sie russisch. Puschkin hatte über hundert Geliebte, und dann starb er in einem Duell, als er die Ehre seiner Frau verteidigte. Sie war ein Flittchen. Ist das Ironie oder Gerechtigkeit? »
    »Wir hatten ein Seminar über Puschkin im Krankenhaus«, sagte Eva.
    »Poesie am Arbeitsplatz. Ausgezeichnet.«
    »Es hieß, die Kugel, die ihn getötet hat, habe Puschkins Beckenknochen von rechts durchschlagen und sei quer durch seinen Leib gefahren.«
    »Ich glaube, eine ins Herz wäre ihm lieber gewesen.« Er stellte sein Glas auf den Boden und zog sie an sich, um den Duft ihres Halses zu riechen. »Ist dir bei Liebespaaren schon mal aufgefallen, dass, wenn einer das Bett verlässt, der andere auf dessen Platz rollt?«
    »Ist das wahr?«
    »Absolut.« Dann fiel ihm etwas ein. »Weißt du, dass Isakow mitten in der Nacht aufsteht und auf der SowjetskajaStraße auf und ab geht?«
    Eva brauchte einen Augenblick, um den Themenwechsel nachzuvollziehen. Ihre Stimme wurde ein wenig flacher. »Das wusste ich nicht. Als wir über die Sowjetskaja fuhren, hat Marat einmal erwähnt, dass Nikolais Vater dort gearbeitet hat.«
    »Was heißt >dort    »Ich habe nicht darauf geachtet. Du magst Nikolai nicht.«
    »Über Nikolai Isakow weiß ich nur eines ganz sicher: Er ist ein schlechter Kriminalpolizist. »
    »Er ist hier ein anderer Mensch. Den echten Nikolai siehst du nicht in Moskau oder in Twer. Seine natürliche Umgebung ist das Schlachtfeld. Willst du wissen, wie wir uns kennengelernt haben?«
    Arkadi wollte es nicht wissen. »Natürlich. »
    »Die Russen beschossen ein tschetschenisches Dorf ohne jede militärische Bedeutung. Alle Männer waren in den Bergen, und nur die Frauen und Kinder waren da, aber ich glaube, die russische Artillerie hatte eine tägliche Quote an Häusern, die sie zerstören musste. Ich war dabei, heißes Schrapnell aus einem Baby zu ziehen, als Nikolai und Marat mit ihrer Einheit erschienen. Es war eine Situation, vor der mir immer gegraut hatte - dass man mich dabei erwischte, wie ich dem Feind half. Halb rechnete ich damit, dass sie mich erschießen würden. Aber stattdessen stellte Nikolai sein Verbandsmaterial zur Verfügung, und als die Russen anfingen, das Dorf wieder zu beschießen, ging er ans Funkgerät und sagte, sie sollten aufhören. Der Oberst, der die Artillerie kommandierte, sagte: Befehl ist Befehl. Nikolai fragte, wie er heiße, damit er ihm persönlich die

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