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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Blick hineinwerfen, aber pass auf, wo du hintrittst.«
    Arkadi ging durch einen von Zeitungen, Pizzakartons und KFC-Eimern übersäten Flur in ein Schlafzimmer, wo der Dreck so hoch lag, dass er zu schwimmen schien. Eine rothaarige Frau in einem Hauskleid war mit Handschellen an ein Bett gefesselt. Sie erwachte allmählich aus einem besinnungslosen Alkoholrausch. Arme und Beine waren abgespreizt, und ihre Hände steckten in Plastikbeuteln. Ihr Kleid war vorn von einem Muster aus Blutstropfen bedeckt. Arkadi schob ihre Ärmel hoch. Die Muskulatur war schlaff, aber ein Vergleich der Unterarme ergab, dass sie Rechtshänderin war.
    »Wie fühlen Sie sich?«
    »Sie haben den Drachen mitgenommen.«
    »Den was?«
    »Es ist unser Drache.«
    »Sie haben einen Drachen?«
    Die geistige Anstrengung wurde ihr zu viel, und sie lallte Unverständliches.
    Arkadi kehrte in die Küche zurück.
    » Jemand hat ihren Drachen weggenommen.«
    »Wir haben gehört, es waren Elefanten«, sagte Urman. »Warum ist sie noch hier?«
    »Wir warten auf den Krankenwagen«, sagte Isakow. »Sie hat schon gestanden. Wir haben gehofft, sie könnte die Tat für die Videokamera noch einmal nachstellen.«
    »Sie gehört zum Arzt und dann in eine Zelle. Verwahrt das Hauskleid. Seit wann seid ihr beide als Kriminalpolizisten in Moskau?«
    »Seit einem Jahr.« Urman hatte seine gute Laune verloren. »Ihr seid von den Schwarzen Baretten geradewegs auf die Ebene von Inspektoren gewechselt? Von der Geiselbefreiung zur kriminalistischen Ermittlungsarbeit? »
    »Vielleicht haben sie für Hauptmann Isakow ein Auge zugedrückt«, sagte Urman. »Warum dieses Theater? Wir haben einen Mord und ein Geständnis. Zwei und zwei ist vier, oder?«
    »Mit einem einzigen Schlag. Sie muss eine ruhige Hand gehabt haben«, sagte Arkadi.
    »Eher einfach Glück, nehme ich an.«
    »Darf ich mal?« Arkadi stellte sich hinter den Toten, um ihn aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Der eine Arm war immer noch nach dem Glas ausgestreckt. Ohne ihn zu berühren, untersuchte Arkadi das Handgelenk auf Blutergüsse, die beispielsweise daher stammen könnten, dass ein stärkerer Mann den Arm festgehalten hatte, während der Schlag geführt wurde.
    »Ich hab von dir gehört, Renko«, sagte Urman. »Es heißt, du hängst gern deinen Rüssel überall rein. Für Leute wie dich hatten wir bei den Schwarzen Baretten nichts übrig. Krittler. Wonach suchst du jetzt?«
    »Nach Spuren von Widerstand.«
    »Gegen was? Siehst du irgendwelche Prellungen?«
    »Habt ihr es mit einem UV-Scan versucht?«
    »Was ist denn das für ein Scheiß?«
    »Marat.« Isakow schüttelte den Kopf. »Marat, der Ermittler stellt seine Fragen aus Erfahrung. Es gibt keinen Grund, das persönlich zu nehmen. Das tut er auch nicht.« Wie um sich zu vergewissern, fragte er: »Du nimmst es doch nicht persönlich, oder, Renko?«
    »Nein.«
    Isakow lächelte nicht, wirkte aber belustigt. »Und jetzt, Renko, musst du entschuldigen, dass wir den Fall auf unsere Weise bearbeiten. Möchtest du sonst noch was wissen?«
    » Warum wart ihr so sicher, dass Wodka im Glas war? Oder habt ihr es nur angenommen?«
    Ein Rest war noch im Glas. Urman tauchte Zeige- und Mittelfinger hinein und leckte sie ab. Dann tauchte er sie noch einmal ein und hielt sie Arkadi entgegen. »Du kannst dran lutschen, wenn du willst.«
    Arkadi ignorierte ihn und wandte sich an Isakow. »Ihr seid also davon überzeugt, dass es sich hier um einen gewöhnlichen häuslichen Totschlag infolge von Wodka, Schnee und Klaustrophobie handelt?«
    »Und Liebe«, sagte Isakow. »Die Frau sagt, sie hat ihn geliebt. Das gefährlichste Wort der Welt.«
    »Du glaubst also, Liebe führt zum Mord«, sagte Arkadi. »Hoffentlich nicht.«
     
    Der Schnee klebte dick auf der Windschutzscheibe. In fünf Minuten würden sich die Türen der Metro öffnen, und Arkadi hatte keine Zeit, anzuhalten und die Scheibenwischer zu befreien. Aber solange er hinter roten Heckleuchten herfuhr, konnte er annehmen, dass er auf der richtigen Straßenseite war und zum Platz der Drei Bahnhöfe fuhr, wie alle Welt den Komsomol-Platz wegen der Bahnhöfe nannte, die dort versammelt waren. Die Ampel sprang um; die Lampen waren von rotem und grünem Schnee bedeckt. Der italienische Pomp des Leningrader Bahnhofs, die goldene Krone auf dem Jaroslawski-Bahnhof, das orientalische Portal des Kasaner Bahnhofs:
    Die Scheibenwischer schmierten alles ineinander.
    Arkadi ließ den Wagen in einer Schneewehe vor dem

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