Stalins Kühe
Finnisch und auf Estnisch. Auf Farbfotos sind die Gerichte abgebildet. Auf der letzten Seite der Speisekarte sind keine Bilder, aber vielerlei Gerichte. Auf dieser Seite sind die Vor- und Hauptgerichte nur auf Estnisch aufgeführt, und sie kosten nur ein Drittel. Der Kellner ist von sich aus bereit, finnisch zu sprechen, aber ich bleibe beim Estnischen.
Auf der Rückfahrt ersteigern die Betrunkenen bei der Auktion auf dem Schiff Erdnusspackungen zum zehnfachen Preis und nehmen mit der Hand Lachs vom Büfett, weil sie die Stücke mit der Gabel nicht treffen. Dem Geschrei nach zu urteilen, verstopft jemand die Toilette in der Etage, in der unsere Kabinen sind, und die Frauen vom Etagendienst kommen drei Mal in unsere Kabine, ohne anzuklopfen, ohne ein Wort, und überprüfen die Toilette, ebenso in den anderen Kabinen der Etage, unterhalten sich auf Estnisch und gehen davon aus, dass wir nichts verstehen. Im Hafen steht eine Gruppe junger Leute mit einer vollen Ladung Bier, und jetzt fragen sie sich, wie sie die nach Hause schaffen sollen. Sind das sechzig Liter? Jemandem geht ein Karton Bier kaputt, und die Dosen kullern im Terminal herum. Der Mann kriecht den Saku-Dosen hinterher. Mir kommen die Tränen.
1970
Katariina trennt sich von ihrem Freund Hugo ein Jahr vor ihrem Abschlussexamen. Das hätte sie natürlich nicht tun sollen, sie hätte heiraten sollen, aber Hugo soll gehen, verschwinden, schlittern, wohin er will, nur nicht mehr zu Katariina. Auch ohne Hugo, der den anderen nachläuft, beschließt Katariina, in Estland zu bleiben, am liebsten in Tallinn, obwohl man sie als ledige Frau ohne Familie nach ihrem Abschluss wahrscheinlich irgendwohin zur Arbeit abkommandieren wird, wo sie unter keinen Umständen hinmöchte, irgendwohin nach Russland oder in ein schäbiges Dorf im letzten Winkel von Estland, was Katariina auch nicht recht wäre. Na, dann würde sie in drei Jahren nach Estland zurückkehren können, aber drei Jahre in einem Winkel ganz gleich welcher Gegend wären zu viel.
Katariina beschließt, sich selbst in Estland und noch dazu in Tallinn eine Arbeitsstelle zu suchen, und damit basta. Und sie wird auf keinen Fall eine Familie gründen, nur um sich für die kommenden Jahre das Recht zu sichern, in Estland zu bleiben. Fast ihr ganzer Studienjahrgang hat schon geheiratet, und fast jeden Tag begegnen ihr schwangere junge Ehefrauen.
Katariina macht einen Besuch in einer Firma, deren Leiter sie kennt. Er verspricht, irgendwo das Strafgeld aufzutreiben, das die Firma vielleicht bezahlen muss, wenn sie Katariina einstellt, weil die schon für eine andere Stelle vorgesehen ist. Katariina verspricht, der Firma so viel Materialkosten einzusparen, dass das Strafgeld abgedeckt ist, und noch mehr. Und eine gute Angestellte könne er doch gebrauchen? Sie hat keine Familie, ist jung und energisch, frisch von der Hochschule und noch dazu eine Frau.
Richtig, genau so eine Angestellte kann er brauchen.
Außerdem hat sich Katariina nach dem für sie offiziell vorgesehenen Arbeitsplatz erkundigt. Er wäre in Viljandi, das, obschon eine Stadt, in Wirklichkeit doch ein abgelegenes Dorf und für Katariina überhaupt nicht der richtige Ort ist. Zu allem Überfluss würde sie dort eine Frau verdrängen, die für Katariinas Arbeit nicht die Kompetenz besitzt, jedoch schon lange auf der Stelle sitzt und auch die Geliebte des Direktors ist. Katariina nimmt Kontakt zu der Frau auf, und die ist hocherfreut zu hören, dass Katariina gar nicht ihre Stelle in dem Betrieb übernehmen möchte, wenn sie die Sache nur still und leise gedeichselt bekäme. So wie die Frau ist auch der Direktor mit der von Katariina vorgeschlagenen Lösung zufrieden, und letztendlich sind auch Katariina und ihr neuer Direktor Välismaa zufrieden. Da alle Beteiligten über die Sache Stillschweigen bewahren, wird nicht einmal ein Strafgeld fällig.
Katariinas Freundin möchte die Sache feiern, obwohl Katariina müde ist. Am Rathausmarkt ist ein neues Lokal, das Rae-Café, eröffnet worden. Sehen wir uns das mal an?
Der Finne bemerkt Katariina sofort, als sie mit ihrer Freundin das Restaurant betritt, das sie für ein Café gehalten haben.
ZWEITER TEIL
WIR
TRAFEN
UNS auf dem Schiff, als Mutter und ich nach Finnland zurückfuhren, es war kurz nach der Reise, auf der ich mit meinen fünfundvierzig Kilo längere Zeit bei meiner Tante zur Erholung gewesen war. Mit meinen leichten Kilos konnte ich mich auf dem Schiff kaum irgendwohin bewegen, sodass ich
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