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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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Auto mitten in der Stadt gestohlen, von einem bewachten Parkplatz, der von einem hohen Zaun umgeben ist. Danach ist Mutter nicht mehr bereit, das Autokennzeichen bei der Reservierung von Schiffskarten anzugeben und erst recht nicht die Marke, egal, welche Reederei das wissen will, egal, auf welcher Seite der Bucht.

    Nach Finnland zurückgekehrt lassen wir in dem typisch finnischen Haus neue Schlösser einbauen, denn im Auto lagen auch die Hausschlüssel, die Adresse und sämtliche Papiere. Mutter hat die Wohnungsschlüssel einiger Bekannter in Tallinn, bei denen wir manchmal übernachten, aber sie teilt ihnen den Diebstahl nicht mit, sondern bricht die Beziehungen ab. Es hat keinen Sinn, sie nervös zu machen. Außerdem kann niemand namenlose Schlüssel den richtigen Adressen zuordnen. Aber sicher ist sicher. Wir werden in diesen Häusern nicht mehr übernachten und zu ihren Bewohnern keinen Kontakt mehr halten.
    Mutter nimmt einen anderen Namen an – die Esten haben nur einen einzigen Vornamen, und einen einzigen hatte auch Mutter, solange sie in Finnland war, aber jetzt hat sie zwei und insofern einen ganz neuen Namen. Die Bankkonten löscht sie. Allein aufgrund ihres gestohlenen Passes wird Mutter keine neue Personenkennung bewilligt, weswegen sie Verwünschungen ausstößt. Idioten! Wir bekommen eine geheime Telefonnummer. Unter dem Bett versteckt Mutter eine Axt.
    Natürlich ist irgendwo in der Welt eine andere Katariina mit ihrem Pass unterwegs.
    Das alles ist jetzt vorbei. Das gibt es nicht mehr. Die Sowjetunion ist zusammengebrochen. Sowjet-Estland existiert nicht mehr. Es gibt nur die Republik Estland. Der Kalte Krieg ist vorbei. Der KGB entführt uns nicht mehr, Mutter, damit ist Schluss, nur Krümel sind noch übrig, ein aus Beton gegossener Behälter neben der Straße für Abfälle und verrostete Kolchos-Mähdrescher auf den Feldern. Ich halte das nicht mehr aus.
    Mutter befiehlt mir, den Mund zu halten.
    KGB oder nicht, die Ganoven von dort sind nicht verschwunden.
    In einem Müllcontainer im Stadtteil Mustamäe wird eine große Plastiktüte gefunden, prall gefüllt mit finnischen Pässen, aber Mutters Pass ist nicht darunter.

EIN
JAHR
NACH diesem Ereignis stößt Mutter im Internet auf eine interessante Website – die estnische Polizei hat dort von allen als verschwunden und gestohlen gemeldeten Autos Listen veröffentlicht, die jedermann lesen kann. Auf dieser Liste findet Mutter auch unser Auto. Es heißt dort, das Auto sei zwei Wochen nach seinem Verschwinden gefunden worden.
    Die Autos, die von den rechtmäßigen Besitzern nicht innerhalb einer bestimmten Frist abgeholt werden, kann die Polizei frei und legal verkaufen.
    Mutter ruft bei der Polizei an, bei allen möglichen Behörden, fragt und ruft an und ruft an und fragt. Die Polizisten, die seinerzeit unseren Fall aufgenommen haben, sind nicht mehr in der Behörde. Niemand?
    Nein. Niemand.
    Und ihr Finnen habt ja genug Autos.
    Am Abend weint Mutter, aber nicht wegen des Autos. Es ist also wahr. Der schlimmste Feind des Esten ist der Este.

ALS
MUTTER
FINDET , dass ich mich bei der Tante genug ausgeruht habe, machen wir uns auf den Weg zurück nach Finnland, aber bevor wir aufs Schiff gehen, verbringen wir den Tag in Tallinn. Mutter macht ihre Besorgungen, und ich möchte derweil in der Altstadt bleiben. Ich habe nicht die Kraft, viel herumzulaufen, aber ein bisschen doch. Vor dem Eingang zum Hotel Viru kaufe ich einen Strauß Tulpen. An dem Strauß steht als Preis zehn Kronen. Ich frage die Verkäuferin, ob die Tulpen in Sträußen verkauft werden. Ich stelle die Frage auf Estnisch mit starkem finnischen Akzent. Die Verkäuferin antwortet, ja. Ich reiche ihr einen Hundertkronenschein, und nachdem ich eine Weile gewartet habe, wird mir klar, dass die Verkäuferin gar nicht daran denkt, mir auch nur einen Cent zurückzugeben. Der Strauß besteht aus zehn Tulpen.
    Ich gehe fort. Ich kann nichts sagen. Mein Land täuscht mich, mein Land bestiehlt mich, mein Land betrügt mich. Das finde ich schlimm. Widerwärtig. Beschämend. Entsetzlich beschämend. Wie etwas, das man nicht erzählen kann. So beschämend, wie es für eine Frau ist, ständig von ihrem Mann verprügelt zu werden, was sie aber aus Scham niemals zu erzählen wagt.
    Mein Zuhause!
    Mutter erzählt mir von dem Auto, aber ich erzähle Mutter nicht von den Tulpen.
    Ich gehe mit meinen Tulpen in die Karu – Bar essen, bevor ich mich auf den Weg zum Schiff mache. Die Speisekarte istauf

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